Börsennotierte Unternehmen müssen sich auf einen zunehmenden ESG Shareholder Activism einstellen und vorbereiten. Wir zeigen auf, was es dabei zu beachten gilt.
Aufgrund des gesellschaftlichen Diskurses über den Klimawandel und Maßnahmen zum Klimaschutz sowie der zahlreichen rechtlichen Regelungen und Regelungsvorhaben mit Nachhaltigkeitsbezug sehen sich vor allem börsennotierte Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen gestellt (Stichworte: „European Green Deal″, Europäisches Klimagesetz, Vorschlag der EU-Kommission für das Richtlinien- und Verordnungspaket „Fit for 55″, deutsches Lieferkettengesetz, angekündigter Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur nachhaltigen Lieferkette, Vorschlag der EU-Kommission für eine Corporate Sustainability Reporting Directive 2.0). Nachhaltigkeitsaspekte bzw. Environmental, Social, Governance (ESG)-Faktoren beeinflussen nicht nur zunehmend ihre Geschäftsaktivitäten, sondern auch die Entscheidungen von (institutionellen) Investoren und Aktionären bei ihren Investitionen und der Ausübung ihrer Stimmrechte in der Hauptversammlung (Stichworte: Sustainable Finance, EU-Offenlegungs-Verordnung, EU-Taxonomie-Verordnung, zunehmende ESG-Anforderungen in Abstimmungsrichtlinien institutioneller Investoren und Stimmrechtsberater, Nachhaltigkeitskriterien bei der Vorstandsvergütung).
Nun haben auch aktivistische Investoren Nachhaltigkeitsaspekte bzw. ESG-Themen als (Angriffs-)Felder für sich (neu) entdeckt. Ziele sind vor allem börsennotierte Unternehmen in CO2-emissionsintensiven Branchen, die besonders von nachhaltigkeitsbezogenen Transitions- und Reputationsrisiken betroffen sind.
Engine No. 1 / ExxonMobil
Im Mai schaffte es der mit lediglich 0,02 % am Grundkapital der Exxon Mobil Corporation (ExxonMobil) beteiligte Hedgefonds Engine No. 1, dass die Hauptversammlung des Mineralölkonzerns drei von ihm vorgeschlagene Kandidaten in den zwölfköpfigen Verwaltungsrat wählte. Unterstützt wurde Engine No. 1 dabei u.a. mit den Stimmen der weltweit größten Vermögensverwalter BlackRock, Vanguard und State Street. Auch die beiden einflussreichsten Stimmrechtsberater ISS und Glass Lewis sprachen sich für die Kandidatenvorschläge von Engine No. 1 aus.
In einer öffentlichen Kampagne hatte Engine No. 1 zuvor die strategische Ausrichtung von ExxonMobil mit seiner starken Konzentration auf fossile Brennstoffe kritisiert und gefordert, die Unternehmensstrategie stärker auf eine langfristige und nachhaltige Wertschöpfung auszurichten. Erforderlich sei der Aufbau klimafreundlicher Geschäftssparten, insbesondere müsse ExxonMobil in erneuerbare Energien investieren, um langfristig profitabel zu sein. Außerdem wurde das Management-Vergütungssystem kritisiert, das stärker an der langfristigen Unternehmensentwicklung zu orientieren sei.
Die Forderungen trafen das Management von ExxonMobil zu einer Zeit, in der die Finanz- und Ertragslage des Unternehmens (auch) pandemiebedingt geschwächt war. Bemerkenswert ist, dass seit Beginn der Kampagne von Engine No. 1 der Kurs der ExxonMobil-Aktie deutlich stieg.
Enkraft Capital / RWE
Im September forderte der laut eigenen Angaben mit 500.000 Aktien (entspricht rd. 0,74 %) am Grundkapital beteiligte Investor Enkraft Capital den Vorstand der RWE Aktiengesellschaft (RWE) in einem öffentlichen Brief dazu auf, die Braunkohleaktivitäten des Unternehmens schneller als geplant zu reduzieren und kurzfristig abzutrennen. Enkraft Capital schätzt, dass durch eine solche beschleunigte Fokussierung auf den Bereich der erneuerbaren Energien stille Reserven von bis zu EUR 13 Mrd. aus bereits angekauften CO2-Emissionsrechten freigesetzt werden könnten. Im Vergleich zu Wettbewerbern mit einer reinen Fokussierung auf erneuerbaren Energien sei RWE aufgrund der bestehenden Verschränkung von erneuerbaren Energien und Braunkohle am Kapitalmarkt unterbewertet.
Falls die Verwaltungsorgane des Energieversorgers, der bereits zu den größten Ökostromerzeugern Europas zählt, der Kritik an der Unternehmensstrategie nicht nachkommen, droht Enkraft Capital mit einer Debatte über die richtige Zusammensetzung der Gremien.
Shareholder Activism: Ein bekanntes Phänomen in neuem (ESG-)Gewand
Die Fälle Engine No.1/ExxonMobil und Enkraft Capital/RWE zeigen, dass sich börsennotierte Unternehmen auf einen zunehmenden ESG Shareholder Activism einstellen und vorbereiten müssen.
Die Ziele aktivistischer Investoren haben sich dabei im Kern nicht geändert. Durch Einflussnahme auf das Unternehmen – wie etwa die Unternehmensstrategie, bestimmte Geschäftsführungs- oder Strukturmaßnahmen (z.B. höhere Dividendenausschüttung, Auflage eines Aktienrückkaufprogramms, Veräußerung eines Unternehmensbereichs), die Zusammensetzung der Verwaltungsorgane oder die Vergütungspolitik für die Organmitglieder – versuchen sie, den Wert ihrer Aktienbeteiligung zu steigern.
Geändert hat sich allerdings, dass die Forderungen aktivistischer Investoren nunmehr häufiger auch einen Nachhaltigkeitsbezug aufweisen, was ihre Durchsetzungswahrscheinlichkeit erhöhen dürfte. Über die Themen Nachhaltigkeit und ESG kann im Vergleich zu klassischen Corporate Governance-Themen leichter ein Öffentlichkeitsdruck erzeugt und womöglich auch die Unterstützung institutioneller Investoren und Stimmrechtsberater gewonnen werden; zumal nachhaltigkeitsbezogene Forderungen grundsätzlich die Förderung einer langfristigen Entwicklung des Unternehmens intendieren und damit nicht dem Verdacht von Short Termism unterliegen.
ESG-aktivistische Forderungen beziehen sich häufig auf die gesamte Unternehmensstrategie, die stärker auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten sei (z.B. durch Einbeziehung von bestimmten unternehmensrelevanten ESG-Aspekten) oder durch bestimmte Maßnahmen ambitionierter umgesetzt werden müsse (z.B. Erwerb oder Veräußerung bestimmter Unternehmensbereiche). Daneben werden oft auch (zusätzlich) eine andere Besetzung der Verwaltungsorgane (z.B. mehr Nachhaltigkeitsexpertise), eine Änderung der Vorstandsvergütung (stärkere oder andere Einbeziehung von ESG-Zielen) und eine aussagekräftige(re), strategiekonsistente Nachhaltigkeitsberichterstattung verlangt.
ESG-aktivistische Investoren greifen auf bekannte Methoden und Mittel zurück
Auch wenn sich ein neuer Trend zu ESG-Inhalten abzeichnet: Das Vorgehen der „ESG-aktivistischen Investoren“ und die von ihnen eingesetzten Mittel zur Einflussnahme auf Unternehmen sind nicht neu. Neben den ihnen gesetzlich und statutarisch zustehenden Aktionärsrechten greifen sie vorgelagert auf die bereits bekannten informellen Maßnahmen zurück, um ihre Ziele zu erreichen.
Einflussnahme durch informelle Maßnahmen – öffentliche Kampagnen
Aktivistische Kampagnen beginnen regelmäßig mit einem Schreiben des Investors an den Vorstand oder ggf. den Aufsichtsrat des Zielunternehmens, in dem die aktuelle Unternehmensstrategie und Corporate Governance kritisiert sowie konkrete (Abhilfe-)Maßnahmen gefordert werden. Meist verlangt der aktivistische Investor in dem Schreiben auch ein persönliches Gespräch mit dem jeweiligen Verwaltungsorgan.
Auf einer nächsten, konfrontativen Stufe bezieht der aktivistische Investor die Öffentlichkeit ein, indem er sein Schreiben und die etwaige weitere Kommunikation mit dem Vorstand bzw. dem Aufsichtsrat veröffentlicht. Durch öffentliche, medienwirksame Kritik an der Unternehmensführung versucht der aktivistische Investor, seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen und andere Aktionäre von seiner Einschätzung zu überzeugen. Hierzu wird regelmäßig eine Medienkampagne gestartet (z.B. Presseartikel, Internetseiten, Social Media) sowie der direkte Austausch mit bestimmten (Groß-)Aktionären, insbesondere investierten institutionellen Investoren und Vermögensverwaltern, und Stimmrechtsberatern gesucht; auch Stimmrechtsvollmachten werden von aktivistischen Investoren eingeworben (Proxy Solicitation). Grenzen für das Einwerben anderer Aktionäre ergeben sich aus dem insiderrechtlichen Weitergabeverbot gemäß Art. 14 lit. c) i.V.m. Art. 10 und Art. 7 MAR sowie vor allem aus den Regeln über die Stimmrechtszusammenrechnung beim Acting in Concert nach §§ 34 Abs. 2 WpHG, 30 Abs. 2 WpÜG.
(Hinweis: Der Sustainable Finance-Beirat der Bundesregierung schlägt beim Acting in Concert eine gesetzliche Ausnahmeregelung für ESG-Themen vor, siehe Empfehlung 31 des Abschlussberichts „Shifting the Trillions, Ein nachhaltiges Finanzsystem für die Große Transformation“ vom Februar 2021; außerdem erwägt die ESMA eine ESG-Ausnahme in ihrer übernahmerechtlichen White List, vgl. ESMA-Report, Undue short-term pressue on corporations, ESMA 30-22-762 vom 18. Dezember 2019, Rn. 197)
Ausübung von Aktionärsrechten durch ESG-aktivistische Investoren
Daneben können aktivistische Investoren die ihnen zustehenden Aktionärsrechte ausüben, um ihre Ziele durchzusetzen. Hervorzuheben sind insbesondere
- Einberufungsverlangen nach § 122 Abs. 1 AktG (Quorum: 5 % des Grundkapitals) und Tagesordnungsergänzungsverlangen nach § 122 Abs. 2 AktG (Quorum: 5 % des Grundkapitals oder anteiliger Betrag von EUR 500.000), z.B. mit Beschlussvorschlägen zur Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern nach § 103 Abs. 1 AktG (einschließlich entsprechender Neuwahl) oder zum Vertrauensentzug gegenüber Vorstandsmitgliedern nach § 84 Abs. 3 S. 2 AktG;
- Antrag auf Einzelentlastung nach § 120 Abs. 1 S. 2 AktG (Quorum: 10 % des Grundkapitals oder anteiliger Betrag von EUR 1 Mio.);
- Aktionärsvorschlag bei Aufsichtsratswahlen nach § 127 AktG und Antrag auf vorrangige Abstimmung hierüber gemäß § 137 AktG (Quorum: 10 % des Grundkapitals);
- Bestellung von Sonderprüfern durch die Hauptversammlung nach § 142 Abs. 1 AktG (Antragsrecht ohne Quorum im Rahmen der Tagesordnung, Beschlussfassung mit einfacher Mehrheit) oder – bei Ablehnung des Antrags – das Gericht nach § 142 Abs. 2 AktG (Quorum für den Antrag: 1 % des Grundkapitals oder anteiliger Betrag von EUR 100.000) sowie Geltendmachung von Organhaftungsansprüchen durch den Aktionär nach § 148 AktG (Quorum für das Klagezulassungsverfahren: 1 % des Grundkapitals oder anteiliger Betrag von EUR 100.000) oder den von der Hauptversammlung nach § 147 Abs. 2 S. 1 AktG oder vom Gericht nach § 147 Abs. 2 S. 2 AktG (Quorum: 10 % des Grundkapitals oder anteiliger Betrag von EUR 1 Mio.) bestellten besonderen Vertreter. Für diese Verfahren sind die materiellen Hürden jedoch recht hoch und davon wird (bisher) durch aktivistische Investoren noch recht wenig Gebrauch gemacht. Für die Durchsetzung eher unternehmenspolitischer Ziele eignen sich die Verfahren (auch wegen ihrer Dauer) eher nicht.
Pflichtgemäßes Reaktionsverhalten der Verwaltungsorgane
Der richtige Umgang mit Forderungen aktivistischer Investoren ist eine komplexe Aufgabe, insbesondere weil Vorstand und Aufsichtsrat hierbei zahlreiche aktien- und kapitalmarktrechtliche Pflichten beachten müssen.
Vorstand und Aufsichtsrat als Adressaten aktivistischer Forderungen
Die aktivistischen Forderungen können sich sowohl an den Vorstand als auch den Aufsichtsrat richten, je nachdem wessen Kompetenzbereich betroffen ist.
Die an den Vorstand gerichteten Forderungen betreffen häufig die Ausrichtung der Unternehmensstrategie und bestimmte Geschäftsführungsmaßnahmen. Zu den an den Aufsichtsrat gerichteten Forderungen aktivistischer Investoren gehören z.B. die Abberufung und Neubestellung von Vorstandsmitgliedern, die Änderung des Vorstandsvergütungssystems sowie das Vorschlagsrecht für künftige Aufsichtsratsmitglieder. Aufgrund seiner Überwachungs- und Beratungsfunktion betreffen den Aufsichtsrat regelmäßig auch die an den Vorstand gerichteten Forderungen, wie insbesondere in Bezug auf die Unternehmensstrategie oder bei zustimmungsbedürftigen Geschäftsführungsmaßnahmen.
Ausrichtung der Reaktion am Unternehmensinteresse
Vorstand und Aufsichtsrat haben die ihnen obliegenden Aufgaben eigenverantwortlich und weisungsfrei unter alleiniger Ausrichtung am Unternehmensinteresse wahrzunehmen. Vor jeder Entscheidung im Umgang mit Shareholder Activism durch das jeweils zuständige Organ gilt es daher zunächst, das konkrete Unternehmensinteresse sorgfältig zu ermitteln und – zwecks haftungsrechtlicher Absicherung – zu dokumentieren.
Der unbestimmte Rechtsbegriff des Unternehmensinteresses wird nach herrschender Meinung dahingehend verstanden, dass die Verwaltung grundsätzlich sämtliche im Unternehmen zusammentreffenden Interessen der verschiedenen Interessengruppen (Aktionäre, Fremdkapitalgeber, Arbeitnehmer, Kunden, Lieferanten und allgemeine Öffentlichkeit bzw. Gemeinwohl) wahrnehmen und berücksichtigen muss (interessenplurales Konzept). Dabei ist allerdings umstritten, ob und inwieweit ein (leichter) Gewichtungsvorsprung zugunsten der – abstrakt typisierend zu bestimmenden – Aktionärsinteressen vor den Belangen anderer Stakeholder besteht. Der Meinungsstreit relativiert sich für die Praxis z.T. dadurch, dass der wohl überwiegende Teil der einen Gewichtungsvorsprung der Aktionärsinteressen bejahenden Literaturstimmen auf ein langfristiges Aktionärsinteresse abstellt, das auf ein dauerhaftes („nachhaltiges“) Wachstum und Wohlergehen des Unternehmens und seiner Ertragskraft gerichtet sei und insoweit stets auch mittelbar die Beachtung der anderen Stakeholder-Interessen umfasse (i.S.e. Corporate Reputation Management im wohlverstandenen, d.h. unternehmenswertsteigernden, Aktionärsinteresse). Viele Folgefragen allerdings, z.B. ob und inwieweit nachweisbar sein muss, dass bestimmte Maßnahmen langfristig auch finanziell den Aktionärsinteressen dienen, sind offen und umstritten.
(Hinweis: Die EU-Kommission erwägt eine Regulierung der „Sustainable Corporate Governance“, nach der u.a. Nachhaltigkeitsaspekte bei unternehmerischen Entscheidungen zwingend einbezogen werden sollen; ein etwaiger Richtlinienvorschlag ist für das vierte Quartal 2021 angekündigt)
Entscheidungen des betreffenden Verwaltungsorgans über die (richtige) Reaktion auf das aktivistische Investorenverhalten – unter Abwägung der Vor- und Nachteile im Hinblick auf das Unternehmensinteresse – sind bei Beachtung der Business Judgement Rule (vgl. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG ggf. i.V.m. § 116 S. 1 AktG) nur eingeschränkt justiziabel. Dabei lassen Vorstände und Aufsichtsräte ihre Entscheidungen bzw. die des jeweils anderen Organs in der Praxis immer häufiger extern rechtlich überprüfen (Business Judgement Opinions) – nicht nur aus Haftungsgründen, sondern auch, um bereits dem Vorwurf eines Pflichtverstoßes entgegenzuwirken, der dem Ruf der verantwortlichen Organmitglieder schaden und z.B. für eine Entlastungsverweigerung, eine Abberufung oder einen Vertrauensentzug (s.o.) instrumentalisiert werden könnte.
Informationsaustausch mit aktivistischen Investoren
Bei der Erteilung von Informationen an (aktivistische) Investoren außerhalb einer Hauptversammlung sind aktien- und kapitalmarktrechtliche Vorgaben zu beachten. Strenge Grenzen bilden hierbei das insiderrechtliche Weitergabeverbot (Art. 14 lit. c) i.V.m. Art. 10 und Art. 7 MAR) sowie das Verbot der Preisgabe von vertraulichen Informationen (§ 93 Abs. 1 S. 3 bzw. § 116 S. 2 AktG).
Auch wenn es sich weder um eine Insiderinformation noch um eine vertrauliche Angabe handelt, ist eine Informationserteilung durch den Vorstand oder den Aufsichtsrat an einen Aktionär in dieser Eigenschaft aufgrund des Gebots der informationellen Gleichbehandlung der Aktionäre (§ 53a AktG, § 131 Abs. 4 S. 1 AktG; vgl. auch § 48 Abs. 1 Nr. 1 WpHG) jedenfalls nur dann zulässig, wenn hierfür ein sachlicher Grund vorliegt und dies im Unternehmensinteresse ist oder den übrigen Aktionären die Information ebenfalls mitgeteilt wird. Entscheidet sich das jeweilige Organ, eine Information an den aktivistischen Investor weiterzugeben, muss es sich daher mit den weiteren Fragen befassen, ob und ggf. wann und wie die betreffende Information auch an die übrigen Aktionäre weitergegeben werden sollte oder muss.
Vorbeugung und Vorbereitung
Um nicht das Ziel eines aktivistischen Angriffs zu werden und, falls doch, diesen erfolgreich abwehren zu können, werden börsennotierte Unternehmen im Vorfeld geeignete Maßnahmen ergreifen. Welche vorbeugenden und vorbereitenden Maßnahmen dies sein können, hängt von dem jeweiligen Unternehmen und dessen spezifischen Verhältnissen ab.
Hilfreich ist es, die potentiellen Angriffspunkte ESG-aktivistischer Investoren bei den bereits vielfach etablierten allgemeinen Vorbeugungs- und Vorbereitungsmaßnahmen zu berücksichtigen.
Vorbeugungsmaßnahmen
Neben der regelmäßigen Überprüfung der Unternehmensstrategie (einschließlich der Einbeziehung von unternehmensrelevanten ESG-Aspekten), des Portfolios der Geschäftsaktivitäten, der Kapitalallokation, der Corporate Governance (z.B. Board Diversity, Overboarding, Anzahl unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder, Nachhaltigkeitsexpertise) und der Organvergütung (z.B. Integration von ESG-Zielen bei der Vorstandsvergütung) – jeweils unter Berücksichtigung der Erwartungen der relevanten Investoren und Stimmrechtsberater (s.u.) – dienen insbesondere folgende Maßnahmen der Vorbeugung aktivistischer Angriffe:
- Klare und (so weit wie möglich) transparente Unternehmensberichterstattung, insbesondere klare und verständliche Kommunikation der Unternehmensstrategie und ihrer Umsetzung (offene und klare Kommunikation), sowie geschlossener Auftritt der Verwaltungsorgane als Einheit nach außen (One-Voice-Policy);
- Überwachung von Governance- und ESG-Ratings sowie -Berichten von Dritten; Bemühen um Korrekturen bei Unrichtigkeiten oder ggf. Ungenauigkeiten;
- Beobachtung der aktuellen Aktionärsstruktur durch Auswertung der Stimmrechtsmitteilungen (§§ 33 ff. WpHG) und Durchführung von Aktionärsidentifikationsabfragen gemäß § 67d AktG über einen entsprechenden Dienstleister (z.B. DPAii, Proxymity) insbesondere im Vorfeld von Hauptversammlungen;
- Monitoring und Tracking der für das Unternehmen relevanten institutionellen Investoren und Vermögensverwalter (u.a. Auswertung der Mitwirkungspolitik und ihrer Umsetzung, des Stimmverhaltens in der Hauptversammlung sowie der Anlagestrategie, vgl. §§ 134b, 134c AktG) sowie der Stimmrechtsberater (Analyse der Abstimmungsrichtlinien und des Stimmverhaltens in der Hauptversammlung, vgl. § 134d AktG) – bei institutionellen Investoren ist zunehmend ein ESG-orientierter, umfassender Stewardship-Ansatz zu beobachten;
- Regelmäßiger Kontakt und Dialog mit den relevanten Investoren – unter Beteiligung des CEO und CFO bzw. des Aufsichtsvorsitzenden im Hinblick auf aufsichtsratsspezifische Themen (vgl. Anregung A.3 DCGK) – sowie mit Stimmrechtsberatern, um ihre konkreten Erwartungen sondieren und berücksichtigen zu können (insbesondere auch im Vorfeld der Einberufung einer Hauptversammlung) – insbesondere im Rahmen jährlicher Corporate Governance-Gespräche und Roadshows, Investoren- und Analystenkonferenzen.
Darüber hinaus sollten sich börsennotierte Unternehmen bereits auf die inhaltliche Verschärfung bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung durch die von der EU-Kommission vorgeschlagene Corporate Sustainability Reporting Directive vom 21.04.2021 einstellen. Die umfangreicheren und detaillierteren Berichtspflichten werden bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung zu einer größeren Transparenz und besseren Vergleichbarkeit mit anderen Unternehmen führen und es somit aktivistischen Investoren erleichtern, ESG-bezogene Schwachstellen zu identifizieren. Die Corporate Sustainability Reporting Directive soll nach entsprechender Umsetzung in nationales Recht bereits ab dem Geschäftsjahr 2023 anwendbar sein und für sämtliche börsennotierte Gesellschaften (mit Ausnahme von Kleinstunternehmen) gelten.
Vorbereitungsmaßnahmen
Zur Vorbereitung auf einen konkreten Angriff aktivistischer Investoren haben sich folgende Maßnahmen etabliert:
- Einrichtung einer möglichst kleinen Task Force (Rapid Action Team) für den Umgang mit Shareholder Activism bestehend aus internen Mitarbeitern (z.B. Investor Relations, Unternehmenskommunikation, Recht, Finanzen, Rechnungslegung, Sustainability/ESG) und ggf. externen Beratern (z.B. Rechtsanwälte, Investmentbanker, Kommunikations-, Medien- und Public Relations-Berater);
- Erarbeitung und Vorhaltung eines (Notfall-)Leitfadens für die Situation eines aktivistischen Angriffs (Defense Manual) u.a. mit Festlegung von Zuständigkeiten und Aufgaben, Darstellung von Abläufen und Reaktionsmöglichkeiten sowohl bei kooperativem als auch konfrontativem Szenario, Beschreibung der rechtlichen Rahmenbedingungen und Auflistung wichtiger Kontaktpersonen und Ansprechpartner intern (z.B. Unternehmensabteilungen) wie extern (z.B. Investoren, Berater);
- ggf. Out-Side-In Analyse des Unternehmens aus Kaptalmarktsicht und aus interner Sicht mit Identifizierung von möglichen Schwachstellen und Bewertungslücken; ggf. Strategic Review insbesondere mit Nachhaltigkeitsfokus.
In a nutshell: Was bedeutet der zunehmende ESG Shareholder Activism für börsennotierte Unternehmen?
Wie die Fälle Engine No.1/ExxonMobil und Enkraft Capital/RWE veranschaulichen, sind ESG-aktivistische Investoren auf dem Vormarsch. Begünstigt wird diese Entwicklung durch die zahlreichen rechtlichen Neuregelungen und Regelungsvorhaben mit Nachhaltigkeitsbezug sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene, die vor allem börsennotierte Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen stellen.
ESG-aktivistische Investoren versuchen, die Transitionsrisiken der Unternehmen (Sustainability Transformation) gezielt auszunutzen. Dabei sind aktivistische Forderungen mit Nachhaltigkeitsbezug für die Verwaltungsorgane besonders gefährlich, da über ESG-Themen leichter ein Öffentlichkeitsdruck erzeugt und die Unterstützung von institutionellen Investoren und Stimmrechtsberatern eher gewonnen werden kann. Denn Nachhaltigkeitsaspekte bzw. ESG-Themen spielen mittlerweile nicht nur eine zentrale Rolle im gesellschaftlichen Diskurs, sondern beeinflussen auch erheblich die Entscheidungen von Investoren und Aktionären bei ihren Investitionen und Stimmrechtsausübungen in der Hauptversammlung.
Ob die Abwehr eines aktivistischen Angriffs gelingt, hängt maßgeblich von einer guten Vorbereitung, effektiven Beziehungen zu den relevanten Investoren sowie einem proaktiven, zielgerichteten Handeln von Vorstand und Aufsichtsrat ab.
Auch Leerverkäufer (Short Seller) nutzen Verstöße oder Versäumnisse im ESG-Bereich gezielt für ihre Angriffe gegen börsennotierte Unternehmen, um den jeweiligen Aktienkurs zum Absturz zu bringen. Nach einer aktuellen Untersuchung sind 60 % der seit 2010 in Europa durchgeführten Short Attacks ausschließlich auf ESG-Kontroversen zurückführen (Metzler Asset Management, Eine Frage der Governance: Wonach differenzieren Anleger wirklich?, in: ESG:strategie, Ausgabe 04/2021, Oktober 2021).
Unsere Beitragsserie „Corporate Governance & Risk Compliance″ startet mit Themen wie Frauenquote im Vorstand, Änderungen in der Compliance und beim Deutscher Corporate Governance Kodex sowie den aktuellen ARUG II und DCGK. Weiter ging es mit der CSR-Richtlinie, den Vorstandspflichten und Nachhaltigkeitsaspekten in der Gesellschaftsverfassung. Weiter befasst haben wir uns mit der ESG-Due Diligence und dem Greenwashing. Zuletzt sind wir auf das neue ElektroG sowie Nachhaltigkeit im Vorstandsvergütungssystem und grüne Investitionen eingegangen.