25. Juli 2018
Steuern Verfassungsgemäß
Steuerrecht

Steuern: Zweifel des BFH an der Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe

Steuern: Mit seinem Beschluss vom 25. April 2018 äußerte der BFH erstmals schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Nachzahlungszinsen i.H.v. 6% p.a.

Die Zweifel des IX. Senats des BFH beziehen sich auf Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015. Die Entscheidung (IX B 21/18) erging im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes. Über die Entscheidung in der Hauptsache hat nun das Finanzgericht Köln zu entscheiden, wobei auch eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht in Betracht kommt.

Seit 1961 ist unverändert ein gesetzlicher Zinssatz von 0,5% pro Monat auf nachzuzahlende und unter Umständen auch zu erstattende Steuern anzuwenden, mithin 6% p.a. (§ 238 Abs. 1 AO). Die Verzinsung beginnt 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Veranlagungszeitraums (also für das Jahr 2015 bspw. am 1. April 2017). Der Sinn dessen besteht – nach der jedenfalls mittlerweile marktfernen Theorie des historischen Gesetzgebers – darin, den Zins- und Liquiditätsvorteil des Steuerpflichtigen abzuschöpfen, welchen er in der Zeit zwischen Steuerentstehung und Steuerfestsetzung mit dem Geld habe wirtschaften können.

Begrüßenswerter Richtungswechsel des BFH

Der Beschluss des IX. Senats des BFH unter Vorsitz des Präsidenten des BFH Prof. Dr. h.c. Mellinghoff bildet einen gleichermaßen begrüßenswerten wie überraschenden Richtungswechsel in der Rechtsprechung des BFH. Denn etwa der III. Senat des BFH hat vor nicht allzu langer Zeit noch entschieden (Urteil v. 9. November 2017, III R 10/16), dass die Höhe der Nachzahlungszinsen zumindest für das Jahr 2013 mit dem Grundgesetz vereinbar sei und sich dabei maßgeblich auf das Bundesverfassungsgericht berufen (BVerfG, Beschluss v. 3. September 2009, 1 BvR 2539/07).

Der Paukenschlag des IX. Senats des BFH könnte damit auch Signalwirkung für weitere, derzeit beim BFH anhängige Verfahren haben (etwa IX R 42/17, Zinszeitraum 2014 – 2016; III R 25/17, Zinszeitraum 2012 – 2015). Da der BFH als oberstes deutsches Fachgericht in Steuersachen nicht abschließend über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen entscheiden darf, müsste bei gleichbleibenden Zweifeln im Hauptsacheverfahren eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 GG erfolgen, sofern hier nicht bereits das Finanzgericht Köln zuvorkommt.

Geltende Gesetzeslage: realitäts- und marktferne Bemessung der Zinshöhe

Der IX. Senat des BFH begründet seine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit nunmehr richtigerweise mit der realitäts- und marktfernen Bemessung der Zinshöhe. Diese lässt das seit Jahren anhaltende Niedrigzinsniveau schlicht unberücksichtigt. Insofern kann der vielerorts geäußerten Kritik nur zugestimmt werden, dass die geltende Vollverzinsung den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Übermaßverbot verletzt.

Aufgrund des seit der Finanzkrise 2008 anhaltenden Niedrigzinsniveaus resultieren aus einer späteren Steuerfestsetzung regelmäßig keine Zinsvorteile für den Steuerpflichtigen, die der Höhe nach auch nur annähernd 6% p.a. erreichen. Das niedrige Marktzinsniveau hat sich bereits strukturell und nachhaltig verfestigt, sodass entsprechend hohe Verzinsungen am Kapitalmarkt nicht zu erreichen sind. Die Nachzahlungszinsen wirken entgegen der gesetzgeberischen Intention de facto wie eine Strafzahlung. Besonders bei Steuerfestsetzungen infolge von Betriebsprüfungen sieht sich der Steuerpflichtige wegen der zum Teil lange zurückliegenden Prüfungszeiträume einer unverhältnismäßigen Verzinsung ausgesetzt. Dies ist auch dem Umstand geschuldet, dass die Finanzverwaltung – anders als in anderen Staaten – eine „zeitnahe Betriebsprüfung″ immer noch nicht flächendeckend praktiziert, Steuersachverhalte also erst mehrere Jahre nach deren Verwirklichung überprüft.

Zinshöhe: Politischer Vorstoß in Bundestag und Bundesrat

Zum Leidwesen der Steuerzahler hat sich – ähnlich wie die bisherige Rechtsprechung – auch die Politik des Problems lange Zeit nicht angenommen. Aus fiskalischer Sicht nachvollziehbar, aus rechtlicher und volkswirtschaftlicher mitnichten.

Erfreulich ist daher neben dem Beschluss des IX. Senats des BFH der unter dem 6. Juni 2018 von der FDP in den Bundestag eingebrachte Vorstoß (BT-DrS 19/2579), den Zinssatz für Nachzahlungszinsen zeitnah und realitätsgerecht zu senken sowie eine Koppelung an einen Referenzzinssatz zu prüfen. Daneben hat auch der Freistaat Bayern unter dem 4. Juli 2018 einen Entschließungsantrag zur Absenkung des Zinssatzes nach § 238 AO in den Bundesrat eingebracht (BR 324/18). Danach solle die Bundesregierung schnellstmöglich einen Gesetzentwurf vorlegen, der zur Absenkung des Zinses auf 0,25% pro Monat, mithin 3% p.a. führt.

Es bleibt abzuwarten, ob die Bundesregierung die Initiativen aufnimmt oder der Gesetzgeber vom Bundesverfassungsgericht – wie neulich bei der Grundsteuer – zu einer Neuregelung gezwungen wird. Denn derzeit sind bereits zwei Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht bezüglich einer etwaigen Verfassungswidrigkeit des gesetzlichen Zinssatzes anhängig. Diese betreffen Verzinsungszeiträume ab dem 31. Dezember 2009 (1 BvR 2237/14) und Verzinsungszeiträume ab dem 31. Dezember 2011 (1 BvR 2422/17).

Rechtsschutz: Einspruch und gegebenenfalls Antrag auf Aussetzung der Vollziehung

Es ist gegenwärtig nicht absehbar, wie die verschiedenen Akteure der Rechtsprechung und des Gesetzgebers den vielschichtigen Problemkreis abschließend bewerten. Um als Steuerpflichtiger von etwaigen Änderungen der Rechtslage profitieren zu können, sollte in Abstimmung mit dem steuerlichen Berater gegen Bescheide mit Zinslasten ab dem Verzinsungszeitraum 2010 vorsorglich fristwahrend Einspruch eingelegt werden. Damit ist es möglich, das Steuerverfahren bis zu einer endgültigen Entscheidung „offen″ zu halten.

In der Einspruchsbegründung ist insbesondere auf die beim BVerfG anhängigen Verfahren hinzuweisen und ein Ruhen des Verfahrens anzuregen. Darüber hinaus kann unter Verweis auf das BMF-Schreiben vom 14. Juni 2018 zumindest für Verzinsungszeiträume ab dem 1. April 2015 die Aussetzung der Vollziehung beantragt werden, womit zunächst die Pflicht zur Zahlung festgesetzter Zinsen aufgeschoben wird. Zinsen auf (ausgesetzte) Zinsen kennt das Steuerverfahrensrecht nicht; insofern besteht kein Risiko eines Zinseszinseffekts, falls und soweit die geltende Höhe des Zinssatzes wider Erwarten für verfassungsgemäß befunden wird.

Für vor dem April 2015 liegende Verzinsungszeiträume findet das BMF-Schreiben dagegen grundsätzlich keine Anwendung. Eine Ausnahme bildet nur die Annahme einer unbilligen Härte für den Steuerpflichtigen, was von der Prüfung des Einzelfalls abhängt. Es bleibt zu hoffen, dass die Höhe der Nachzahlungszinsen zukünftig der wirtschaftlichen Realität gerecht wird. Falls das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber zu einer Neuregelung der Nachzahlungszinsen zwingen sollte, stellen sich überdies auch vielfältige steuerverfahrens- und verfassungsrechtliche Fragen hinsichtlich der weiteren Behandlung von Erstattungszinsen. Insofern ist die weitere Entwicklung auch von „der anderen Seite der Medaille″ weiter zu beobachten.

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