Die Omnibus‑Richtlinie verpflichtet Betreiber im Sinne des Verbraucherschutzes, die wesentlichen Parameter anzugeben, die für Rankings bei Suchergebnissen verwendet werden.
Die Europäische Union hat den Verbraucherschutz im Digitalzeitalter zu einem Schwerpunkt der europäischen Rechtssetzung gemacht. Diesem Ziel dient auch die Richtlinie (EU) 2019/2161 zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union. Diese Richtlinie modifiziert eine Vielzahl verbraucherschützender Richtlinien und wird daher umgangssprachlich auch als „Omnibus-Richtlinie“ bezeichnet (geht auf das lateinische Wort „omnibus“ zurück, zu Deutsch etwa „alle“ oder „für alle“ – hat mit dem Verkehrsmittel ansonsten aber nichts zu tun). Die vorzunehmenden Änderungen betreffen die Richtlinien über Preisangaben (98/6/EG), unlautere Geschäftspraktiken (2005/29/EG – UGP-Richtlinie) und über die Rechte der Verbraucher (Richtlinie 2011/83/EU – Verbraucherrechte‑Richtlinie).
Ein zentrales Anliegen der Omnibus-Richtlinie ist es, mehr Transparenz für Verbraucher auf Online‑Marktplätzen zu schaffen. So sollen Plattformbetreiber unter anderem zur Angabe von Parametern für die Anzeige von Rankings nach Suchanfragen verpflichtet werden, also zur Offenlegung der Gründe, warum z.B. ein Angebot in den Suchergebnissen weit oben angezeigt wird. Diese Rankings spielen beim Online-Shopping eine ganz zentrale Rolle – je prominenter ein Angebot platziert ist, desto eher wird es vom Verbraucher abgerufen. Die Anordnung der Suchergebnisse kann somit ein entscheidender Faktor sowohl für Händler als auch den Plattformbetreiber sein. Die Bedeutung der neuen Informationspflichten zu Rankings ist daher nicht zu unterschätzen.
„Gekaufte“ Rankings sind ohne Kennzeichnung wettbewerbsrechtlich unzulässig
Es ist mittlerweile üblich, dass Händler auf Online‑Marktplätzen oder Plattformen die Möglichkeit haben, ihre Produkte gegen Bezahlung bei der Eingabe bestimmter Suchwörter prominent anzeigen zu lassen (sog. Keyword‑Advertising). Dies ist nichts anderes als eine Werbemaßnahme, da prominent platzierte Angebote einen wesentlichen Wettbewerbsvorteil genießen.
Das Wettbewerbsrecht gibt vor, dass Produkte, die über das Keyword‑Advertising angezeigt werden, den kommerziellen Hintergrund erkennen lassen müssen, etwa durch eine graphisch anders gestaltete Rubrik mit der Überschrift „Anzeige“. Erfolgt eine solche Kenntlichmachung nicht, handelt es sich um eine irreführende geschäftliche Handlung gegenüber dem Verbraucher, da ihm wesentliche Informationen vorenthalten werden. Dies ist auch nach aktueller Gesetzeslage schon als Verstoß gegen § 5a Abs. 2 UWG bzw. Art. 7 UGP‑Richtlinie zu werten.
Die Omnibus‑Richtlinie sieht insoweit eine (klarstellende) Ergänzung der UGP‑Richtlinie vor. Nach Art. 3 Nr. 4 b) der Richtlinie werden allgemeinen Informationen, welche die Hauptparameter für die Festlegung eines Rankings sowie die relative Gewichtung dieser Parameter enthalten, als „wesentliche Informationen“ eingestuft (Art. 7 (4a) UGP‑Richtlinie n.F.). Diese Einstufung führt dazu, dass es bereits nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut eine wettbewerbswidrig irreführende Unterlassung darstellt, wenn die Informationen zu Rankings nicht erteilt werden.
Darüber hinaus wird gemäß Art. 3 Nr. 7 a) der Omnibus‑Richtlinie der Anhang I der UGP‑Richtlinie, in dem Geschäftspraktiken aufgelistet sind, „die unter allen Umständen als unlauter gelten“, um folgende neue Nr. 11a ergänzt:
Anzeige von Suchergebnissen aufgrund der Online-Suchanfrage eines Verbrauchers ohne dass etwaige bezahlte Werbung oder spezielle Zahlungen, die dazu dienen, ein höheres Ranking der jeweiligen Produkte im Rahmen der Suchergebnisse zu erreichen, eindeutig offengelegt werden.
Vor diesem wettbewerbsrechtlichen Hintergrund stellt die Omnibus‑Richtline weitergehende Informationspflichten auf, die über den Bereich des Keyword‑Advertising deutlich hinausgehen. Vorbild für die Neuregelung ist eine Verordnung aus dem unternehmerischen Geschäftsverkehr:
P2B‑Verordnung enthält bereits Transparenzregeln für Rankings
In der vor über einem Jahr in Kraft getretenen und seit Juli 2020 unmittelbar anwendbaren Platform‑to‑Business‑Verordnung ((EU) 2019/1150 – P2B‑Verordnung) findet sich in Art. 5 bereits eine umfangreiche Regelung zu Rankings. Darin heißt es unter anderem, dass die Anbieter von Online‑Vermittlungsdiensten (d.h. Marktplätzen, Plattformen etc.) in ihren AGB
die das Ranking bestimmenden Hauptparameter und die Gründe für die relative Gewichtung dieser Hauptparameter gegenüber anderen Parametern
darstellen müssen (Absatz 1). Diese Pflicht besteht jedoch nur im Verhältnis zu den gewerblichen Nutzern der Plattformen, also zum Beispiel den Händlern, die ihre Waren dort anbieten.
Über Art. 5 Absatz 2 P2B‑VO gilt zudem eine entsprechende Transparenz- und Informationspflicht hinsichtlich der Darstellung von Rankings für Anbieter von Online‑Suchmaschinen.
Omnibus‑Richtlinie regelt Transparenzpflichten gegenüber Verbrauchern
Erwägungsgrund 18 der Omnibus‑Richtlinie stellt zunächst zutreffend fest, dass
[e]in besseres Ranking oder eine hervorgehobene Platzierung von kommerziellen Angeboten in den Ergebnissen einer Online‑Suchanfrage durch die Anbieter von Online‑Suchfunktionen (…) erhebliche Auswirkungen auf die Verbraucher
hat. Der Begriff des Rankings soll sich in diesem Zusammenhang
auf die relative Hervorhebung der Angebote von Unternehmern oder die Relevanz, die Suchergebnissen zugemessen wird, je nachdem, wie sie von den Anbietern von Online-Suchfunktionen, einschließlich in Folge der Verwendung von algorithmischer Sequenzierung, Beurteilungs- oder Bewertungsmechanismen oder von visueller Hervorhebung oder anderen Hervorhebungsinstrumenten oder einer Kombination davon, dargestellt, organisiert oder kommuniziert werden,
beziehen (Erwägungsgrund 19).
In Anlehnung an Art. 5 P2B‑Verordnung ist gemäß Art. 4 Nr. 5 der Omnibus‑Richtlinie ein neuer Art. 6a in die Verbraucherrechte‑Richtlinie eingefügt worden. Durch diese neue Vorschrift werden Betreiber von Online‑Marktplätzen unter anderem verpflichtet, Verbrauchern
allgemeine Informationen [bereitzustellen], die die Hauptparameter zur Festlegung des Rankings der Angebote (…), die dem Verbraucher als Ergebnis seiner Suchanfrage auf dem Online‑Marktplatz präsentiert werden, sowie die relative Gewichtung dieser Parameter im Vergleich zu anderen Parametern betreffen (…);
Diese Informationen sollen zum einen in „klarer, verständlicher und in einer den benutzten Fernkommunikationsmitteln angepassten Weise“ erteilt werden und zum anderen
in einem bestimmten Bereich der Online‑Benutzeroberfläche zur Verfügung gestellt werden, der von der Seite, auf der die Angebote angezeigt werden, unmittelbar und leicht zugänglich ist.
Weiterhin heißt es in der Richtlinie, dass die Informationen zum Ranking
knapp gehalten und leicht, an gut sichtbarer Stelle und unmittelbar verfügbar
sein sollen (Erwägungsgrund 22).
Umfang der Informationspflicht unklar
Im Unterschied zur P2B‑Verordnung müssen die Angaben zu Rankings also nicht lediglich in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen abgedruckt sein, sondern direkt auf der Website der Plattform bzw. des Marktplatzes platziert werden. Diese Seite muss von der Suchergebnisseite unmittelbar zugänglich sein – mit anderen Worten darf es idealerweise nicht mehr als ein Klick sein, den der Verbraucher zum Erreichen der entsprechenden Seite benötigt.
Unklar ist der konkrete Umfang der Informationspflichten, da insofern lediglich von „allgemeinen Informationen“ die Rede ist, die „knapp gehalten“ sein sollen. Weitere Anhaltspunkte bietet insofern Erwägungsgrund 23 der Richtlinie, in dem es heißt:
Die Unternehmer sollten nicht verpflichtet sein, die Funktionsweise ihrer Ranking‑Systeme, einschließlich der Algorithmen, im Detail offenzulegen. Die Unternehmer sollten eine allgemeine Beschreibung der Hauptparameter für das Ranking bereitstellen, (…), jedoch muss diese Beschreibung nicht in einer jeweils auf die einzelne Suchanfrage zugeschnittenen Form bereitgestellt werden.
Unter Parametern für das Ranking sind laut Erwägungsgrund 22
alle allgemeinen Kriterien, Prozesse und spezifischen Signale, die in Algorithmen eingebunden sind, oder sonstige Anpassungs- oder Rückstufungsmechanismen [zu verstehen], die im Zusammenhang mit dem Ranking eingesetzt werden.
Es kann also festgehalten werden, dass es für die Umsetzung des neuen Art. 6a Verbraucherrechte‑Richtlinie in jedem Fall eine Benennung der oben beschriebenen Parameter für Rankings bedarf sowie eine zumindest oberflächliche Beschreibung der jeweiligen Funktionsweise. Die Angaben können abstrakt gehalten werden und müssen nicht auf die individuelle Suchanfrage des Verbrauchers zugeschnitten sein. Zudem ist es nach dem Wortlaut der Richtlinie nicht erforderlich, bei der Beschreibung der Prozesse besonders in die Tiefe zu gehen – eine zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen auch dringend gebotene Einschränkung.
Referentenentwürfe des BMJV geben Ausblick auf Umsetzung in deutsches Recht ab 2022
Die Vorgaben der Omnibus-Richtlinie sind bis zum 28. November 2021 in nationales Recht umzusetzen und müssen ab dem 28. Mai 2022 in den Mitgliedstaaten verbindlich gelten. Das BMJV hat mittlerweile zwei Referentenentwürfe zur Umsetzung der Omnibus‑Richtlinie in das deutsche Recht vorgelegt: Ende Oktober wurde der erste Referentenentwurf mit Anpassung im Bereich des Zivilrechts (BGB und EGBGB) und Anfang November ein zweiter Referentenentwurf „zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht“ veröffentlicht.
Aus den Referentenentwürfen geht hervor, dass die Vorgaben der Richtlinie weitestgehend inhaltsgleich in das deutsche Recht implementiert werden sollen. Die Informationspflichten im Zusammenhang mit Rankings sollen nach dem ersten Referentenentwurf künftig in einer Neufassung des § 312k BGB in Verbindung mit Art. 246d § 1 EGBGB n.F. zu finden sein.
Eine Änderung findet sich jedoch im Entwurf des Art. 246d § 1 Nr. 3 EGBGB n.F. der die Angabe des Plattformbetreibers verlangt, ob
es sich bei ihm und dem Anbieter der Waren, Dienstleistungen oder digitalen Inhalte um verbundene Unternehmen im Sinne von § 15 des Aktiengesetzes handelt oder er mit dem Anbieter in sonstiger Weise rechtlich oder wirtschaftlich derart verbunden ist, dass das Risiko besteht, dass hierdurch das Ranking (…) beeinflusst wird.
Mit dieser zusätzlichen Anforderung geht der deutsche Gesetzgeber über die Vorgaben der Omnibus‑Richtlinie hinsichtlich des Umfangs der Informationspflichten hinaus. Begründet wird dies mit dem Risiko der Bevorzugung verbundener Unternehmen.
In das deutsche Wettbewerbsrecht sollen die neuen Informationspflichten zu Rankings über einen neuen § 5b Absatz 2 UWG sowie eine neue Nr. 11a im Anhang zu § 3 Absatz 3 UWG Einzug finden. Die allgemeinen Informationen zu den Hauptparameter von Rankings sowie deren relative Gewichtung sollen nach dem das Wettbewerbsrecht betreffenden Referentenentwurf des BMJV künftig „wesentliche Informationen“ im Sinne des ebenfalls neu gefassten § 5a Absatz 1 UWG n.F. sein. Werden diese wesentlichen Informationen nicht bereitgestellt, soll dies eine unlautere Irreführung durch Unterlassung darstellen.
Versäumt es ein Plattformbetreiber zudem künftig eindeutig offenzulegen, dass ein höheres Ranking durch Zahlung einer Gegenleistung bewirkt wurde (Stichwort „gekauftes Ranking“), so soll darin eine unzulässige geschäftliche Handlung im Sinne von § 3 Abs. 3 UWG liegen.
Verstöße können empfindliche Bußgelder nach sich ziehen
In jedem Fall sollten Unternehmen sich wappnen und eine Strategie entwickeln, wie zum einen den Vorgaben der Richtlinie entsprochen und zum anderen die Geschäftsgeheimnisse wirksam geschützt werden. Nicht erst seit der Corona‑Pandemie sind Online‑Plattformen stark im Aufwind und der Konkurrenzdruck wächst. Die verwendeten Algorithmen und Prozesse können dabei entscheidende Wettbewerbsvorteile darstellen. Diese gilt es zu bewahren und gleichzeitig eine informierte Entscheidung der Verbraucher zu gewährleisten – eine Gratwanderung, die es zu meistern gilt.
Andernfalls drohen auf der einen Seite Abmahnungen und unter bestimmten Umständen auch empfindliche Geldbußen von bis zu 4 % des Jahresumsatzes des betroffenen Unternehmens (sowohl nach neuem Wettbewerbs- als auch AGB‑Recht) und auf der anderen Seite die Übernahme von Geschäftspraktiken durch Wettbewerber.
In unserer Blogserie „Verbraucherverträge im Digitalzeitalter″ zeigen wir auf, wie die Maßnahmenpakete der EU das europäische Verbraucherschutzrecht fit für das Digitalzeitalter machen sollen. Im ersten Teil beschäftigen wir uns mit den hohen Bußgeldern für Unternehmer, im zweiten Teil mit Bußgeldern bei Verletzungen von Verbraucherschutzvorschriften und Lauterkeitsrecht. Anschließend haben wir uns mit den Änderungen im BGB und den neuen Regelungen der Warenkaufrichtlinie beschäftigt. Zuletzt sind wir auf Personalized Pricing und Dual Quality Verbot eingegangen.
Mit der Einführung von verschiedenen Regelwerken in Deutschland und der EU wird der gesamte Bereich der digitalen Dienste grundlegend reformiert. Vom neuen Rechtsrahmen werden beinahe sämtliche Anbieter von digitalen Diensten erfasst, Adressaten sind insbesondere Plattformen wie Media Platforms, User Interface Provider und Media Intermediaries als auch Market Places. Eine Übersicht über unser Beratungsangebot zum Bereich „Digital Regulation“ finden Sie hier.