12. Mai 2020
Corona Störung der Geschäftsgrundlage
Coronavirus - Handlungsempfehlungen für Unternehmen Mergers & Acquisitions (M&A)

Virulente Störungen – COVID-19 als Anwendungsfall der Störung der Geschäftsgrundlage bei M&A-Transaktionen?

Wenn sich vor dem Closing die Situation des Targets infolge von COVID-19 verschlechtert, wird für den Käufer eine mögliche Vertragsanpassung interessant.

Die COVID-19-Pandemie und die in der Folge erlassenen behördlichen Einschränkungen des täglichen Lebens haben dazu geführt, dass sich die wirtschaftliche und finanzielle Situation von vielen Unternehmen innerhalb kurzer Zeit stark verschlechtert hat. Diese Veränderungen führen bei M&A-Transaktionen in einem frühen Prozessstadium häufig dazu, dass die Verhandlungen unter- oder sogar abgebrochen werden.

Schwieriger ist die Situation, wenn der Unternehmenskaufvertrag bereits unterzeichnet aber noch nicht vollzogen ist und sich die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Zielgesellschaft aufgrund der Covid-19-Pandemie nach Unterzeichnung stark nachteilig verändert hat. Insbesondere für den Käufer wird die Frage, ob der Unternehmenskaufvertrag nachträglich zu seinen Gunsten angepasst werden kann (zum Beispiel Einführung einer Preisanpassungsklausel) oder ob sogar ein Rücktritt vom Vertrag in Betracht kommt, sehr relevant.

Pacta sunt servanda?

Grundsätzlich gilt die altbekannte Maxime „Pacta sunt servanda″ – also Verträge sind einzuhalten. Diese Regel gilt jedoch nicht ohne Einschränkungen. Die Möglichkeit sich von einem bereits unterzeichneten Unternehmenskaufvertrag zu lösen, kann sich beispielsweise aus dem Vertrag selbst ergeben, nämlich aus einer sogenannten MAC-Klausel (Material Adverse Change Klausel). Dies gewährt dem Käufer ein Rücktrittsrecht, wenn sich zwischen Unterzeichnung des Vertrags und dem Vollzug des Vertrags Dinge ereignen, die die Kennzahlen der Zielgesellschaft schwerwiegend beeinträchtigen.

MAC-Klauseln werden überwiegend in anglo-amerikanischen Unternehmenskaufverträgen aufgenommen und waren in Verträgen nach deutschem Recht vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie eine Seltenheit. Basierend auf der CMS M&A-Studie für das Jahr 2020  wurde in 16 % der ausgewerteten Kaufverträge in Europa eine MAC-Klausel aufgenommen.

Das Institut der Störung der Geschäftsgrundlage bei schwerwiegenden Änderungen der Vertragsgrundlagen

Falls die Parteien – wie in der Mehrzahl der Verträge – keine MAC-Klausel vereinbart haben, kommt eine Anpassung des Kaufvertrags bzw. ein Rücktritt nur nach den allgemeinen gesetzlichen Regeln, insbesondere gemäß der Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB, in Betracht.

Das Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage wird von der Rechtsprechung als eng auszulegende Ausnahme interpretiert. Es greift nur ein, wenn Umstände, die erkennbar zur Grundlage des Unternehmenskaufvertrags geworden sind, sich schwerwiegend ändern. Außerdem ist erforderlich, dass die Parteien, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, den Vertrag so nicht geschlossen hätten. Zuletzt ist entscheidend, dass einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am Vertrag grundsätzlich oder in der vereinbarten Form nicht zugemutet werden kann.

Eine solche Störung der Geschäftsgrundlage wird von der Rechtsprechung nur in besonderen Ausnahmefällen anerkannt und kann insbesondere bei wesentlichen Äquivalenzstörungen eintreten. Besteht ein grobes Missverhältnis zwischen den beiderseitigen vertraglichen Leistungspflichten kann dies unter Umständen zu einem Fall der Störung der Geschäftsgrundlage führen. Erforderlich ist jedoch stets, dass die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung derartig beeinträchtigt ist, dass es für die Parteien unzumutbar wird, am Vertrag festzuhalten, weil z.B. die Störung unvorhersehbar war und über das übernommene Risiko hinausgeht.

COVID-19 als Anwendungsfall der Störung der Geschäftsgrundlage?

Die Covid-19-Pandemie hat dazu geführt, dass zahlreiche Unternehmen innerhalb kurzer Zeit eine stark eingeschränkte Nachfrage ihrer Produkte hinnehmen mussten. Besonders Unternehmen der Branchen Elektro, Automobil, HealthCare verlassen sich zudem zur Herstellung ihrer Produkte auf enge Lieferbeziehungen mit Unternehmen aus zum Teil stark betroffenen Regionen.

Das Zusammenspiel zwischen Einbruch der Nachfrage nach den eigenen Produkten einerseits und der Beeinträchtigung wichtiger Lieferketten andererseits führt in den meisten Branchen zu einer wirtschaftlichen und finanziellen Verschlechterung der Zielgesellschaft. Diese Parameter waren üblicherweise entscheidend für den Abschluss der Transaktion und wurden somit zumindest stillschweigend zur Geschäftsgrundlage. Diese Aussage gilt natürlich nicht ausnahmslos, da auch einige Branchen, wie beispielsweise die Baubranche, bisher weitestgehend unbeschadet durch die Corona-Pandemie kommen.

Hinzukommen muss außerdem eine gewisse Dauer der Verschlechterung, eine nur temporäre Veränderung der wirtschaftlichen Lage, kann den hohen Anforderungen des § 313 BGB nicht genügen. Hier ist wieder ein genauer Blick auf den jeweiligen Einzelfall und die Branche der Zielgesellschaft erforderlich, insbesondere mögliche „Nachholeffekte″ in den kommenden Monaten sind zu berücksichtigen und in die Gesamtbewertung miteinzubeziehen.

Weiterhin ist relevant, ob das Risiko der wirtschaftlichen Verschlechterung der Zielgesellschaft einseitig einer der Parteien zugewiesen werden kann. Zu bedenken ist, dass Unternehmenskaufverträge in der Regel sorgfältig zwischen den Parteien und ihren Beratern ausgehandelt worden sind. Üblicherweise stellt der Unternehmenskaufvertrag ein System mit ausgewogener Allokation bestimmter unternehmensbezogener Risiken auf Käufer und Verkäufer dar. Diese gewollte Allokation würde durch das Institut der „Störung der Geschäftsgrundlage“ durchbrochen, so dass diese Voraussetzung wohl in aller Regel schwer zu bejahen ist und eine Anpassung des Vertrages bzw. ein Rücktritt gemäß § 313 BGB eher abzulehnen ist.

Fazit: § 313 BGB bei M&A-Verträgen aufgrund der COVID-19-Pandemie nur in Ausnahmefällen

In Verträgen, die deutschem Recht unterliegen und keine konkrete MAC-Klausel enthalten, können Käufer versuchen, sich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage zu berufen, um sich damit aufgrund der COVID-19-Pandemie von ihren vertraglichen Verpflichtungen zu lösen beziehungsweise den Vertrag zu ihren Gunsten anzupassen. Entscheidend muss bei der Beurteilung sein, wie schwer und zeitlich intensiv die Zielgesellschaft durch die COVID-19-Pandemie getroffen ist und ob eine Risikoverlagerung auf den Verkäufer sachgemäß ist.

Die Voraussetzungen der Störung der Geschäftsgrundlage werden in den typischen Konstellationen aufgrund der detailliert ausverhandelten Risikoallokation eher abzulehnen sein. Bei der Bewertung der Erfolgsaussichten ist außerdem zu beachten, dass die Gerichte in der Vergangenheit sehr hohe Anforderungen an eine Änderung der Vertragsbedingungen und noch höhere Anforderungen an ein Rücktrittsrecht gestellt haben.

In unserer Blogserie zu „Coronavirus: Handlungsempfehlungen für Unternehmen″ zeigen wir anhand der aktuellen Situation unternehmensbezogene Stolpersteine auf, die in Krisenzeiten zu beachten sind. Bereits erschienen sind Beiträge zu Verhandlungen, Verjährungen und Verfristungen sowie Haftungsfragen bei Absagen von Messen- und Veranstaltungen, zum Datenschutz trotz Corona und zu  Möglichkeiten von Aktiengesellschaften zur Cash-Ersparnis sowie Vermögensübertragungen zu steuergünstigen Konditionen. In weiteren Beiträgen gehen wir ein auf die Erstellung eines Notfallplans, auf Vertriebsverträge und Tips Lieferanten in Krisenzeiten und auf Auswirkungen auf Lebensmittel- und Hygieneverordnungen. Im Anschluss haben wir uns mit der streitigen (gerichtliche) Auseinandersetzung befasst, sind auf kartellrechtliche Auswirkungen sowie die Bedeutung für den Kapitalmarkt eingegangen. Näher befasst haben wir uns auch mit „infizierten″ Vertragsverhandlungen, den Änderungen in Mittel- und Osteuropa sowie mit klinischen Studien und dem neuen EU-Leitfaden für Sponsoren uns Prüfärzte. Weiter geht es mit Pflichten zur Abgabe der Steuererklärung und eventuell steuerstrafrechtlichen Haftungsrisiken, dem Moratorium für Zahlungsverpflichtungen von Verbrauchern und Kleinstunternehmern, Unterstützungsmaßnahmen für Start-ups, das Kurzarbeitergeld, sowie den Erleichterungen für Stiftungen und Vereine und GmbH-Gesellschafterbeschlüsse. Es folgten weitere Beiträge zu Kooperationen im Gesundheitswesen und zu Sachspenden an Krankenhäuser, zum Marktzugang für persönliche Schutzausrüstung und Medizinprodukte, zur Beschlagnahmemöglichkeit von Schutzausrüstung durch den Staat und zu Auswirkungen auf laufende IT-Projekte


Aktuelle Informationen zu COVID-19 finden Sie in unserem Corona Center auf unserer Website. Wenn Sie Fragen zum Umgang mit der aktuellen Lage und zu den Auswirkungen für Ihr Unternehmen haben, sprechen Sie unser CMS Response Team jederzeit gerne an.

Tags: Corona Störung der Geschäftsgrundlage Vertragsanpassung