17. August 2011
Verteidigugnsvergaberichtlinie
Vergaberecht

Verwaltungsvorschriften zur Anwendung der Verteidigungsvergaberichtlinie

Die Verteidigungsvergaberichtlinie beschäftigt uns in unserem Blog regelmäßig. Seit einigen Tagen haben wir es schwarz auf weiß: Die Richtlinie 2009/81/EG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit (Verteidigungsvergaberichtlinie) wird nicht bis zum Ablauf der Frist am 21.08.2011 in das nationale Recht umgesetzt sein. Die Richtlinie 2009/81/EG ist ab diesem Datum vielmehr unmittelbar anzuwenden, so der Erlass des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) und das Rundschreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) jeweils vom 26.07.2011. Mit entsprechenden Regelungen auf Landesebene ist zu rechnen. Was bedeutet das für den betroffenen Rechtsanwender? – Hier ein paar Antworten – mit einem für die Praxis wichtigen Update zu den Vergabeformularen:

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Update 07.09.2011:

Mit Durchführungsverordnung (EU) Nr. 842/2011 vom 19.08.2011 hat die Europäische Kommission nunmehr auch die Formulare für Ausschreibungen im Bereich Sicherheit und Verteidigung veröffentlicht. Die Verordnung tritt am 16.09.2011 in Kraft und ist in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar, ohne dass es einer Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber bedarf.

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Anwendungsbereich der Verwaltungsvorschriften

Die Vorgaben des BMVBS gelten für Bauaufträge mit einem geschätzten Wert von ab 4.854.000,‑ €, die verteidigungs- oder sicherheitsrelevant sind. Die Vorgaben des BMWi beziehen sich hingegen auf verteidigungs- und sicherheitsrelevante Liefer- und Dienstleistungsaufträge, deren Wert den Schwellenwert von 387.000,- € erreicht oder überschreitet. Zur Beschreibung der Verteidigungs- und Sicherheitsrelevanz wird jeweils auf Art. 2 der Verteidigungsvergaberichtlinie verwiesen (siehe dazu auch hier). Für die Zuordnung von teilweise verteidigungs- oder sicherheitsrelevanten Aufträgen ist die gesetzliche Regelung des § 99 Abs. 8 GWB wegen der besonderen Sensibilität sicherheits- und verteidigungsrelevanter Aufträge nicht anzuwenden. Die Abgrenzung soll damit also nicht nach dem Hauptgegenstand des Auftrags erfolgen. Stattdessen sollen die weniger strengen Anforderungen angewendet werden, wenn die Vergabe eines einheitlichen Auftrags aus objektiven Gründen danach gerechtfertigt ist (Art. 3 Richtlinie 2009/81/EG), was bei bislang dem GWB-Vergaberecht unterliegenden Aufträgen fraglich erscheint. Lässt sich eine einheitliche Vergabe dagegen nicht rechtfertigen, muss der Auftrag getrennt vergeben werden.

Zu Recht stellt das BMWi zu Beginn seines Rundschreibens fest, dass weder durch die unmittelbare Rechtswirkung der Richtlinie noch durch das Rundschreiben selbst genannte Aufträge dem Anwendungsbereich des GWB entzogen werden können, für die die gesetzlichen Regelungen nach dem bisherigen Wortlaut bereits gelten. Obwohl der Erlass des BMVBS dies nicht ausdrücklich regelt, kann für diesen nichts anderes gelten. Missverständlich ist allerdings der grundsätzliche Verweis auf § 100 Abs. 2 GWB. Richtigerweise wird man unterscheiden müssen: Soweit das GWB-Vergaberecht strenger ist, muss dieses angewendet werden. Soweit die Regelungen der Verteidigungsvergaberichtlinien strengere oder zusätzliche Anforderungen enthalten, sind diese vorrangig bzw. zusätzlich anzuwenden. Fällt ein Auftrag unter einen der Ausnahmetatbestände des § 100 Abs. 2 GWB, ist er auch von den Anforderungen der Verteidigungsvergaberichtlinie ausgenommen, soweit sich die Ausnahmetatbestände mit denen der Richtlinie decken. Sieht die Richtlinie weitergehende Ausnahmetatbestände vor, ist dies irrelevant, da dann die deutsche Regelung vorgeht. Ist der Anwendungsbereich der Richtlinie weitergehend als § 100 GWB, gelten die Anforderungen der Richtlinie; nur in diesem engen Anwendungsbereich kann der Auftraggeber von etwaigen Privilegierungen verteidigungs- und sicherheitsrelevante Aufträge in der Richtlinie profitieren. Dies gilt sowohl für Bau- als auch für Liefer- und Dienstleistungsaufträge.

In dem Erlass und dem Rundschreiben wird hervorgehoben, dass sich die Auftraggeber nicht auf die Ausnahme in § 100 Abs. 2 lit. d GWB berufen können, sondern in dieser Hinsicht die Vorgaben der Verteidigungsvergaberichtlinie beachten müssen (Art. 13 Richtlinie 2009/81/EG). Dies hatte bereits das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss vom 08.06.2011 – VII-Verg 49/11 angemerkt.

Im Hinblick auf Dienstleistungsaufträge weist das Rundschreiben des BMWi darauf hin, dass die Zuordnung von Dienstleistungen in den Anhängen I und II Verteidigungsvergaberichtlinie zu prioritären und nicht-prioritären Dienstleistungen von der Zuordnung in den Anhängen zu der Vergabekoordinierungsrichtlinie abweiche. Richtigerweise muss hier differenziert werden: Sind nach der VOL/A Dienstleistungen als vorrangig eingeordnet, gelten – wie bisher – sämtliche Anforderungen des Vergaberechts, auch wenn sie nach der Verteidigungsvergaberichtlinie nicht mehr prioritär wären. Sind dagegen Dienstleistungen, die nach nationalem Recht nicht vorrangig sind, nunmehr nach der Verteidigungsvergaberichtlinie prioritär, müssen sämtliche Anforderungen der Verteidigungsvergaberichtlinie zur Anwendung kommen.

Durchführung von Vergabeverfahren

Bei der Vergabe verteidigungs- und sicherheitsrelevanter Aufträge sollen die Verfahrensvorschriften der VOB/A bzw. VOL/A richtlinienkonform angewendet werden. Der Erlass und das Rundschreiben weisen auf folgende Besonderheiten hin:

Die Auftraggeber können Auflagen zum Schutz von Verschlusssachen im Sinne von Art. 22 der Verteidigungsvergaberichtlinien auferlegen. Für den Baubereich gelten weiterhin die Bestimmungen von Ziffer 5 RiSBau (Anhang 20/1 der RBBau) sowie die Bestimmungen des Vergabehandbuch des Bundes (VHB-Bund) Formblatt 247. Darüber hinaus soll der Auftraggeber seine Anforderungen an die Versorgungssicherheit in der Vergabebekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen festlegen. Daneben wird auf die Regelungen in Art. 23 der Verteidigungsvergaberichtlinie verwiesen.

Bei der Wahl des Verfahrens kann der Auftraggeber zwischen dem nichtoffenen Verfahren und dem Verhandlungsverfahren nach Bekanntmachung wählen. Insoweit sieht der Erlass des BMVBS vor, dass daher der Vorrang des offenen Verfahrens nach § 101 Abs. 7 GWB durch die Richtlinie überlagert wird. Solange die Richtlinie nicht umgesetzt ist, ist eine solche Sichtweise höchst problematisch, wenn sie auch für verteidigungs- und sicherheitsrelevante Aufträge gelten soll, für die die Vergabeanforderungen des GWB bereits jetzt gelten. Die Privilegierungen der Verteidigungsvergaberichtlinie gelten nur für Aufträge, für die diese Anforderungen nicht bereits aufgrund bisherigen Vergaberechts gelten. In der Regel dürfte aber bereits nach den allgemeinen Grundsätzen das nichtoffene Verfahren angesichts der Geheimhaltungsinteressen zweckmäßig sein (vgl. § 3a Abs. 3 i. V. m. § 3 Abs. 3 Nr. 3 VOB/A).

Auch das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb kann unter den zusätzlichen Voraussetzungen des Art. 28 der Verteidigungsvergaberichtlinie zulässig sein, soweit die Aufträge nicht bereits jetzt dem GWB-Vergaberecht unterliegen.

Bei der Eignungsprüfung ist darauf zu achten, dass in nichtoffenen Verfahren abweichend von den Regelungen in VOB/A und VOL/A eine Beschränkung des Bieterkreises nicht zulässig ist. Diese strengere Regelung muss daher in jedem Fall eingehalten werden, auch bei Aufträgen, die bisher bereits dem Vergaberecht unterliegen.

Die Verteidigungsvergaberichtlinie sieht Informations- und Wartepflichten vor, die denjenigen der Rechtsmittelrichtlinie (Richtlinie 89/665/EWG) entsprechen. Daher ist § 101a GWB anzuwenden. Im Hinblick auf den Rechtsschutz bestimmen sowohl der Erlass als auch das Rundschreiben, dass das Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern und Vergabesenaten stattfindet. Ob dies ohne gesetzliche Regelung für Aufträge, die bislang nicht dem Vergaberecht unterliegen, möglich ist, erscheint fraglich. Jedenfalls sind gegebenenfalls die Geheimhaltungsinteressen zu wahren (näher OLG Düsseldorf, Beschluss v. 08.06.2011 – VII-Verg 49/11).

Es bleibt zu hoffen, dass den mit der verspäteten Umsetzung der Verteidigungsvergaberichtlinie verbundenen Widersprüchen zwischen Richtlinie und dem nationalen Recht, insbesondere in Bezug auf den Rechtsschutz sowie auf den Anwendungsbereich, kurzfristig durch entsprechende Gesetzesänderungen abgeholfen wird. Das Rundschreiben des BMWi geht davon aus, dass die entsprechenden GWB-Änderungen bereits zum 01.01.2012 in Kraft treten werden und im Oktober ein abgestimmter Entwurf der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit vorliegt – wir berichteten dazu bereits. Es bleibt abzuwarten, ob sich dieser ambitionierte Zeitplan einhalten lässt.

Tags: Bauauftrag Eignungsprüfung nicht prioritäre Dienstleistungen prioritäre Dienstleistungen Vergabeverfahren Verteidigungsvergaberichtlinie