Serien sind dafür da, sie fortzusetzen – und das soll nun bei unserer Serie über Deutschlands Arbeitsgerichte geschehen, auch wenn unsere Besichtigung schon etwas zurückliegt.
„Non vitae, sed scholae discimus„, nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir! An diese – gerne auch verdrehte – Sentenz Senecas könnte man beim Gebäude des Arbeits- und Landesarbeitsgerichts Hamburg denken. Denn das Gebäude an der Ecke Osterbekstraße / Schleidenstraße am Rande des Osterbekkanals wurde ursprünglich als Schule entworfen.
Die Geschichte: Von der Schule zum Gerichtsgebäude
Das heutige Gerichtsgebäude ist so alt wie der Stadtteil Barmbek, der in Folge der Umsiedlung aus dem Gebiet der späteren Speicherstadt entstand. Als Teil eines Schulbauprogramms wurde der Backsteinbau errichtet. Sein Architekt ist Albert Erbe, von 1906 bis 1910 Bauinspektor in Hamburg. Erbe hat zahlreiche Bauten in Hamburg entworfen, die mit ihren Giebeln und Backsteinfassaden dem dortigen Heimatstil entsprechen.
Das Gerichtsgebäude wurde Mitte November 1909 vom Hamburger Senat in Auftrag gegeben und am 1. April 1912 übergeben und in Betrieb genommen, nachdem sich der Bau wegen eines Streiks der Zimmerleute verzögert hatte. Für 503.800 Reichsmark waren eine Mädchen- und eine Knabenschule mit jeweils 15 Klassen errichtet worden.
Das Gebäude verfügte über zwei Rektorenzimmer mit Wartezimmer, jeweils zwei kleine und zwei große Lehrzimmer, vier Sammlungszimmer und einen Zeichensaal mit Utensilienraum sowie eine Schuldienerwohnung und die Kochlehrküchenanlage.
Der viergeschossige Bau wird durch zwei hervorstehende Kopfbauten flankiert und verfügt über ein steiles Hamburger Dach. Über zwei getrennte Eingangsportale betrat man die Jungen- bzw. die Mädchenschule von der Schleidener Straße aus. Diese Eingangsportale waren mit Säulen versehen, wurden jedoch mit der späteren Umnutzung des Gebäudes entfernt. An der Fassade der Schleidenstraße sind ihre Spuren auf den Backsteinmauern nur noch zu erahnen.
Die Fassade wird durch die Fenster der Klassenräume gegliedert. Die Klassenräume lagen – wie die früheren Eingänge – an der Schleidener Straße, während auf der Gebäuderückseite jeweils ein langer Flur den Zugang ermöglicht.
Raffinierte Backsteinfassade
Die Backsteinfassade ist nicht einfach nur „Backstein“. Die Fensterstürze sind ebenso abgesetzt wie die Flächen unter den Fenstern im ersten Stock. Darüber ragen Backsteinreihen hervor, die in einem Natursteinband münden. Die oberste Etage ist zur Schleidener Straße mit einem schmalen Dachband abgesetzt.
Die Dachfläche ist auf der Rückseite dagegen tiefer gezogen. Ohnehin weist die Rückseite ein Zusammenspiel zahlreicher Fenstervariationen auf. Währen das Erdgeschoss hier schmale Einzelfenster vorsieht, erweitern sich die Fensterflächen sich im ersten Stock, werden im zweiten Stock halbbogenförmig und in den beiden darüber liegenden Etagen wieder separiert, wobei die oberste jeweils zwei Fenster in einer Dachgaube bündelt.
Auch hier ist die Backsteinfassade keineswegs langweilig, sondern enthält die unterschiedlichsten Mauervarianten. Zwei nach hinten liegende Treppenhäuser, die in einzelnen Vorbauten untergebracht sind, verbanden die beiden Etagen. Die ursprüngliche Optik der Treppenhäuser ist nur noch in dem hinteren erkennbar.
Gläserne Verbindung zum Neubau
Das vordere Treppenhaus ist nicht mehr vorhanden. Es musste dem gläsernen Verbindungbau zum 1985 errichteten Erweiterungsbau weichen. Dieser ist in seinem Äußeren dem backsteinernen Hauptgebäude angepasst.
Der gläserne Verbindungsbau, der Neu- und Altbau miteinander verbindet, lässt viel Licht hinein. Er gleicht im Übrigen mit halbhohen Treppen die Niveauunterschiede zwischen Neu- und Altbau aus, denn er beherbergt das zentrale Treppenhaus . Ein Modell im Zimmer des Geschäftsleiters von Landesarbeitsgericht und Arbeitsgericht verdeutlicht dies.
Der Neubau ist als solcher natürlich auch von außen zu erkennen, er wirkt mit den großen Fensterflächen sehr strukturiert. Aber auch hier haben die Architekten der Baubehörde die Form der Schleidener Straße aufgegriffen. Nicht nur läuft das Gebäude – einen L-Grundriss betonend – in einem Kopfbau aus. Auch hier hat man ein Doppeldach, der Rückseite entsprechend errichtet. Die Backsteinfassade ist auch hier kein „langweiliges Gemäuer“.
In seinem Erdgeschoss findet sich noch ein inzwischen geschlossenes Pförtnerhäuschen neben zahlreichen Bürogewächsen. Nur der Tisch und die Stühle wirken ein wenig fehl am Platze. Wer sich im Erdgeschoss nach rechts wendet, wird durch zahlreiche elektrische Türen bis zur Kantine finden.
Im Hof findet man die noch immer erhaltene Turnhalle, die auch als solche genutzt wird.
Zu den Verhandlungssälen geht es linker Hand in den Altbau. Blau gestrichene, dem Brandschutz dienende Durchgänge trennen Treppenhaus und Flur voneinander ab. Die Flure im Inneren sind hell und mit Linoleum ausgelegt. Die weiß gestrichenen Wände sind mit Bildern und Exponaten früherer Arbeitswelten versehen. Auf den Fluren finden sich große Holzbänke, die zum Gebäude passen.
Stilmix im großen Sitzungssaal
Im obersten Stockwerk befindet sich auch der große Sitzungssaal. Er strahlt das Flair der 60er- bis 80er-Jahre aus. Ein schöner Parkettboden mit Fischgrätenmuster läuft in ein Podest aus, auf dem sich ein holzverkleideter Richtertisch und moderne Sessel befinden. Das übrige Mobiliar einschließlich der Bestuhlung des Zuschauerraums dürfte jüngeren Büroinventurkatalogen entnommen sein.
Die Richter jedoch blicken auf eine mit dunkelbraunem Holz vertäfelte Wand, die von Lüftungsgittern und einer runden Uhr gekrönt wird. Eine kleine Treppe führt von der Empore des Richterpults hinunter in das Beratungszimmer, das aus der Zeit gefallen ist. Ein großes Gemälde schmückt den Raum.
Nicht jeder Besucher wird den Speicher besichtigen dürfen. Aber hier wird man der gewaltigen Ausmaße des hölzernen Dachstahls gewahr.
Die Arbeitsgerichte in Hamburg sind mit viel Hamburger Tradition passend untergebracht. Wer das Gericht beim nächsten Mal besucht, sollte dringend seinen Blick schweifen lassen.
Die Serie widmet sich Deutschlands Arbeitsgerichten – den Gebäuden, ihrer Architektur und der Umgebung.
Hier geht es zu Teil 13 Koblenz, die vorhergehenden Teile finden Sie hier: Karlsruhe, Darmstadt, Duisburg, Ulm, Stuttgart, Berlin, Ravensburg, München, Saarbrücken, Köln, Siegburg, Frankfurt.