15. Februar 2011
Psst... Du! Ja, Du! Willst Du Butter kaufen?
Wettbewerbsrecht (UWG)

Ist der Lockvogel vom Aussterben bedroht?

Den Abgesang auf die gesetzlich verankerte Verachtung gegenüber dem berüchtigten Lockvogel in der Werbung haben wir schon öfter vernommen: Zuletzt anlässlich der UWG-Novelle 2008, als eine gesetzliche Vorschrift zum Schutz der Verbraucher scheinbar „gestrichen″ wurde. Der kleine Kerl ist aber auch hartnäckig: Er begegnet uns auch heute noch, etwa am Briefkasten und pfeift sein Lied von traumhaft günstigen Flachbildschirmen oder fast geschenkter Markenbutter. Im Laden heißt es dann allerdings womöglich: „Leider ausverkauft – aber wie wäre es denn hiermit…? ″

Die Verbraucherzentrale NRW  vermeldete vergangene Woche, dass der BGH in einem Urteil vom 10.02.2011 (I ZR 183/09) angeblich „klargestellt″ habe, dass die Ware eine gewisse Zeit vorhanden sein müsse. Auch sei entschieden worden, dass Kunden nur mit eindeutigen Angaben über die Verfügbarkeit von beworbenen Waren in ein Geschäft gelockt werden dürfen. Wir kennen die Urteilsbegründung noch nicht, erwarten sie aber deshalb mit Spannung, weil man sich fragt, was an dieser Erkenntnis neu sein soll und wie es überhaupt zu diesem Revisionsverfahren kam.

Denn schon vorher  galt:  Wer für den Verkauf von Waren wirbt, muss zum angekündigten oder zu dem sonst nach den Umständen zu erwartenden Verkaufszeitpunkt über einen angemessenen Warenvorrat verfügen. Ist das nicht der Fall, ist die Werbung (grundsätzlich) irreführend.

Was wissen wir? Nach Angaben der Verbraucherzentrale NRW hatte ein Discounter in Zeitungsanzeigen 2008 für „Original Irische Butter″ und für 17-Zoll-LCD-Flachbildschirme geworben. Die Werbung für die Butter sollte an die Gültigkeitsdauer des Prospekts geknüpft sein. Die Flachbildschirme wurden dagegen ausdrücklich mit der Einschränkung beworben, dass der Artikel bereits „am ersten Tag″ des Angebots ausverkauft sein könne. Noch vor der Geschäftsöffnung um 8 Uhr morgens, so die Verbraucherzentrale, seien aber keine Flachbildschirme mehr erhältlich gewesen. Was die Butter anging, so die Verbraucherzentrale,  sei diese bereits am ersten Tag des Sonderangebots in mehreren Filialen mittags nicht mehr erhältlich gewesen.

In der Pressemitteilung der Verbraucherzentrale NRW heißt es:

„Weist ein Händler hingegen darauf hin, dass Preisknüller – in diesem Fall die Flachbildschirme – laut Lidl-Prospekt ‚bereits am ersten Angebotstag ausverkauft sein können‘, müssen Kunden an diesem Tag zumindest die ersten sechs Stunden eine reelle Chance haben, den beworbenen Artikel trotz der Einschränkung auch zu kaufen.″

Wenn der BGH in seinem Urteil aber tatsächlich starre Zeiträume für das Vorhalten von ″Lockvogelangeboten″ postuliert haben sollte, wie es in der Pressemitteilung anklingt, wäre das allerdings eine Überraschung: Bisher entzog sich jedenfalls die Dauer des Zeitraums einer schematischen Betrachtung. Die frühere Fassung von § 5 Abs. 5 S. 2 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) begründete deshalb auch nur für den Regelfall die widerlegliche Vermutung, dass ein Warenvorrat nicht angemessen ist, wenn er nicht ausreicht, die Nachfrage für zwei Tage zu decken. Diese Regelung wurde nun in den Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG (″Blacklist″) eingefügt.

Ansonsten gelten die allgemeinen Grundsätze über irreführende Werbung: Es kommt darauf an, ob die Werbung beim umworbenen Verbraucher die Erwartung des Vorhandenseins der beworbenen Ware und deren sofortige Lieferbarkeit hervorruft und ob die tatsächlichen Gegebenheiten dieser Erwartung gerecht werden (BGH GRUR 00, 911, 913 – Computerwerbung I).

Der Hinweis, dass Ware womöglich schon am ersten Tag ausverkauft ist, reichte zur Ausräumung dieser Gefahr auch schon vor der von der Verbraucherzentrale gemeldeten BGH-Entscheidung nicht aus, wenn tatsächlich oft sofort nach Geschäftsöffnung schon nichts mehr zu haben ist. So ist eine Publikumswerbung für Computer irreführend, wenn das beworbene Gerät in der angebotenen technischen Ausstattung bei Erscheinen der Werbung im Verkaufslokal nicht (mehr) zur Verfügung steht (BGH GRUR 96, 800, 801 – EDV-Geräte).

Geändert hatte sich demnach auch durch die UWG-Reform eigentlich nichts: Der Lockvogel ist von Gesetzes wegen eine bedrohte Art, die dennoch nicht aussterben wird – auch wenn man ihm dauernd die Flügel stutzt. Ob der BGH hier wirklich neue Grundsätze aufstellt, wird sich zeigen…

UPDATE 22.02.2011:

Das Urteil ist nun hier veröffentlicht.

In den Leitsätzen heißt es:

a) Nach Nr. 5 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG ist – ebenso wie zuvor nach § 5 Abs. 5 UWG 2004 – nicht die unzulängliche Bevorratung der beworbenen Ware, sondern die unzureichende Aufklärung über eine unzulängliche Bevorratung unlauter.

b) Zielt ein Unterlassungsantrag durch Formulierungen wie „für Lebensmittel wie nachfolgend abgebildet zu werben″ auf das Verbot der konkreten Verletzungsform ab, stellen weitere in den Antrag aufgenommene, die konkrete Verletzungsform beschreibende Merkmale grundsätzlich eine unschädliche Überbestimmung dar.

c) Eine Gleichartigkeit im Sinne von Nr. 5 UWG des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG liegt nur dann vor, wenn das andere Produkt nicht nur tatsächlich gleichwertig, sondern auch aus der Sicht des Verbrauchers austauschbar ist. Wird für ein Markenprodukt geworben, ist daher ein unter einer Handelsmarke vertriebenes Produkt nicht gleichartig, auch wenn es objektiv gleichwertig sein mag.

d) Die in der Regelung der Nr. 5 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG zugrunde gelegte Erwartung, dass eine einschränkungslos angebotene Ware in sämtlichen in die Werbung einbezogenen Filialen in ausreichender Menge erworben werden kann, lässt sich nur durch einen aufklärenden Hinweis neutralisieren, der klar formuliert, leicht lesbar und gut erkennbar ist.

Der Begründung können wir entnehmen, dass der BGH tatsächlich keine grundsätzlich neuen Regeln aufgestellt hat (er hat dazu nicht einmal eine Pressemitteilung herausgegeben) und die Information der Verbraucherzentrale NRW die Entscheidung nicht ganz richtig wiedergibt: Weder gibt es starre Zeiträume für das Vorhalten der Ware, noch ist es dem Unternehmer verwehrt, ausreichend deutliche Hinweise aufzunehmen, die eine Irreführungsgefahr ausräumen.

Dass der Verbraucher selbst keine Ansprüche hat, darauf hat Jens Ferner hier aufmerksam gemacht.

Tags: angemessene Bevorratung BGH Blacklist Butter Discounter Flachbildschirme I ZR 183/09 Irreführung Lockvogelwerbung