26. Oktober 2017
Brexit Austrittsverhandlungen
Brexit

Brexit: Die Uhr tickt

Die Verhandlungen zum Brexit stocken in entscheidenden Punkten. Ein harter Brexit scheint unausweichlich und deutsche Unternehmen sollten sich vorbereiten.

Nach fünf Verhandlungsrunden zwischen dem Vereinigten Königreich und den anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union scheint noch alles möglich. Doch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) schaut mit Sorge auf den Fortgang der Brexit-Verhandlungen und warnt:

Deutsche Unternehmen müssen Vorsorge für den Ernstfall eines sehr harten Ausscheidens treffen, alles andere wäre naiv.

Ist nun zu erwarten, dass das Vereinigte Königreich und die EU rechtlich keine vernünftige Lösung finden werden? Um eine Antwort auf diese Frage zu bekommen, muss man die rechtlichen Rahmenbedingungen des Brexits genauer betrachten. Diese Verhandlungen, wie alle Verhandlungen innerhalb der EU (und das Vereinigte Königreich ist immer noch ein Mitglied der EU), werden auf der rechtlichen Basis der EU-Verträge auf einer politischen Ebene geführt.

Stand der Austrittsverhandlungen

Die Austrittsverhandlungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU, die innerhalb der Zweijahresfrist abgeschlossen sein müssen, sind auf folgende, besonders relevante Themen, nämlich Geld, Bürgerrechte und die künftigen Landesgrenzen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich in Irland beschränkt.

Zwar gibt es auch Verhandlungsfortschritte. Die Hauptthemen bleiben aber auch nach fünf Verhandlungsrunden noch immer offen.

Vereinigtes Königreich wird nach Ablauf der Zweijahresfrist zum Drittstaat

Artikel 50 des Vertrags von Lissabon ist klar formuliert: Nach Ablauf der Zweijahresfrist ist das Vereinigte Königreich kein Mitglied der EU mehr, sondern wird zum sogenannten Drittstaat. Damit entfallen die gesamten rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen für das Verhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU.

Kann ein harter Brexit noch vermieden werden?

Um einen harten Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der EU zu vermeiden, gibt es nur vier Möglichkeiten:

  1. Eine Einigung innerhalb der verbleibenden Frist auf ein neues Gesamtverhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU tritt am 30. März 2019 in Kraft;
  2. Innerhalb der Zweijahresfrist wird eine sogenannte Übergangslösung vereinbart, die zum 30. März 2019 in Kraft tritt und das Verhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU regelt, bis eine dauerhafte Lösung (s. Option 1) vereinbart ist;
  3. Die Zweijahresfrist unter Artikel 50 wird verlängert;
  4. Es gibt einen Exit vom Brexit und das Vereinigte Königreich bleibt in der EU.

Die vier Möglichkeiten für den weiteren Brexit-Verlauf im Detail

  1. Option 1: Fristgerechte Vereinbarung eines neuen Abkommens
    Während eine solche Lösung bestimmt wünschenswert ist, scheint sie kaum praktikabel. Die Verhandlungen über das künftige Verhältnis haben noch nicht begonnen, obwohl die Volksabstimmung schon vor 16 Monaten stattgefunden hat. Das Vereinigte Königreich will laut politischen Aussagen ein weitgehendes Freihandelsabkommen mit der EU aushandeln. Dies wäre eine Art „Comprehensive Economic and Trade Agreement“, wie die EU es mit Kanada abgeschlossen hat, das jedoch über sieben Jahre Vorbereitungszeit bedurfte. Hinzu kommen Themen wie regulatorische Anerkennung für die Finanzindustrie, Pharmaprodukte, Autos und Flugrechte von britischen Fluggesellschaften. Es ist schlicht nicht vorstellbar, dass alle diese Themen innerhalb der Zeit vorbereitet, ausgehandelt und vereinbart werden können. Option 1 ist – und war wahrscheinlich von Anfang an – keine praktikable Lösung.
  1. Option 2: Übergangslösung

Theresa May hat in ihrer Rede in Florenz die EU gebeten

    , an einer Übergangslösung mit dem Vereinigten Königreich zu arbeiten. Der politische Wunsch dahinter ist letztendlich mehr Zeit für die Ausarbeitung eines vollständigen Abkommens zu erhalten. Hier gibt es allerdings einige rechtliche Themen zu berücksichtigen. Zunächst läuft die Frist für Artikel 50 automatisch aus. Eine Übergangslösung braucht daher auch einen rechtlichen Rahmen, um umgesetzt werden zu können. Nach jetzigem Stand wollen die Briten am 30. März 2019 nicht mehr Mitglied in der EU sein, so dass sie bereits ab diesem Zeitpunkt anfangen können, ihre Handelsbeziehungen mit der WHO und anderen Ländern der Welt neu einzurichten und umzusetzen. Deswegen besteht die klare politische Aussage, dass zu diesem Zeitpunkt das Vereinigte Königreich nicht mehr Mitglied des Binnenmarkts und auch nicht mehr Teil der Zollunion sein soll. Ohne diese beiden Bedingungen zu erfüllen, hat das Vereinigte Königreich sein Ziel nicht erreicht. Es gibt natürlich auch innenpolitische Gründe, warum Theresa May zu diesem Zeitpunkt klarstellen will, dass das Vereinigte Königreich auf einer politischen Ebene nicht mehr Mitglied der EU ist.
    Eine Übergangslösung ist daher nichts anderes als Option 1 einschließlich einer Neugestaltung des Verhältnisses zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich, auch wenn diese zeitlich befristet ist und vielleicht zum Teil auf bestehenden EU-Verträgen basiert. Solch eine Lösung benötigt die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten und, abhängig von den bestimmten Bedingungen, vielleicht auch der Zustimmung aller Länderparlamente.
  1. Option 3: Verlängerung der Frist
    Artikel 50 (3) sieht die Möglichkeit vor, die Zweijahresfrist mit Zustimmung aller Mitgliedsstaaten zu verlängern. Im Ergebnis ist eine Zustimmung zur Verlängerung sicherlich nicht leicht zu erreichen aber immerhin wäre dies innerhalb der bestehenden Zeit noch machbar. Letztlich hätte es aber für die Briten die unerwünschte Konsequenz, dass das Vereinigte Königreich nach dem 30. März 2019 noch Mitglied der EU bleibt. Das würde bedeuten, dass es zu diesem Zeitpunkt keinen Brexit gibt und die Austrittsverhandlungen in die Länge gezogen werden müssten. Wenn man aber ernsthaft über eine Strategie für einen Austritt aus der EU nachdenkt, wäre dieser Weg wahrscheinlich der einzige, der reibungslos funktionieren könnte. Theresa May hat diese Möglichkeit bisher aber nie angesprochen.
  1. Option 4: Exit vom Brexit
    Zurzeit ist es politisch kaum denkbar, dass die jetzige britische Regierung den Brexit nicht durchzieht. Eine politische Wende ist aber noch möglich. Rechtlich gibt es die Möglichkeit, obwohl sie nicht unumstritten ist, die Ausstiegserklärung zurückzuziehen. In Artikel 50 ist die Möglichkeit eine eingereichte Ausstiegserklärung zurückzuziehen nicht geregelt, aber auch nicht explizit ausgeschlossen. Der erste Schritt in diesem Entscheidungsprozess müsste in London stattfinden, könnte aber von der Regierung beschlossen werden, ob mit oder ohne Zustimmung des Parlaments. Wenn das Vereinigte Königreich so einen Schritt einleitete, bleibt die Frage, ob der Rest der EU den Austritt aus der EU gegen den Willen des Vereinigten Königreichs forcieren würde.

Zusammengefasst sind beide Seiten rechtlich gebunden. Das Risiko eines harten oder jedenfalls chaotischen Brexits sollte man nicht unterschätzen.

Noch laufen die Austrittsverhandlungen. Sofern noch nicht geschehen, ist es für Unternehmen nun an der Zeit, zu analysieren, was ein harter Brexit für sie bedeuten könnte. Es sind jedenfalls heute bereits Schritte einzuleiten, um besonders betroffene Unternehmen vor den Konsequenzen und herben Verlusten zu schützen und bestenfalls sogar die noch möglichen Optionen voll zu nutzen.

Treffen Sie John Hammond am 27. November 2017 auf der BCCG-Veranstaltung in der Britischen Botschaft in Berlin zum Thema „Trade and Tariffs with the UK″ mit Sir Sebastian Wood KCMG, HM Ambassador to Germany.

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