Die Corona-Pandemie zeigt, dass es riskant ist, auf wenige Lieferanten und "just in time" zu setzen. Diversität beim Einkauf kann Risiken minimieren.
In der derzeitigen Corona-Pandemie mussten viele Unternehmen feststellen, dass ihre Einkaufsstrukturen an Grenzen stießen. Es erwies sich als riskant, nur auf einen Lieferanten zu setzen. Auch zeigte sich, dass es herausfordernd sein kann, wenn Lieferanten große räumliche Distanzen (z.B. aus Asien nach Deutschland) zu überwinden haben. Schließlich erwies sich das Lieferkonzept „just in time″ als besonders krisenanfällig. Auch wenn die Krise noch nicht ganz überwunden ist, stellt sich jetzt die Frage, wie aus ihr gelernt werden und der Einkauf krisenfester gemacht werden kann. Wie kann sichergestellt werden, dass die Verfügbarkeit von notwendigen Komponenten auch in Zeiten großer Herausforderungen so lange wie möglich sichergestellt bleibt? Die nachfolgende Checkliste gibt einen Überblick, worauf bei der Neuausrichtung des Einkaufs aus rechtlicher Sicht zu achten ist.
I. Blick zurück und nach vorn – Kritische Überprüfung der bisherigen Lieferantenbeziehungen
Zunächst ist wichtig, sich nicht nur auf die Suche nach neuen Lieferanten zu konzentrieren. Auch aus den bestehenden Einkaufsbeziehungen können sich Hindernisse ergeben, die beachtet werden müssen. Ggf. bietet die Neuausrichtung des Einkaufs auch die Möglichkeit, sinnvolle Änderungen der bisherigen Einkaufsverträge anzustoßen.
Analyse der im Rahmen der Krise aufgetretenen Probleme und etwaiger nachteiliger Vertragsklauseln
In einem ersten Schritt sollten die bisherigen Lieferantenbeziehungen einer kritischen Bestandsaufnahme unterzogen werden. In welchen Bereichen sind während der Krise Probleme aufgetreten? Lagen die Lieferverzögerungen vor allem darin, dass lediglich einer oder nur wenige Lieferanten für ein Bauteil existierten, sollten Second-Source-Supplier gesucht werden. Das Setzen auf mehrere Lieferanten mag zwar im Fall einer weltumspannenden Pandemie nur bedingt helfen. Bei lokal auftretenden Beschränkungen wie zu Beginn der Krise in China kann eine diversifizierte Lieferantenstruktur aber merklich zur Risikominimierung beitragen.
Es ist aber nicht so, dass Probleme in der Belieferung immer nur auf die Anzahl der Lieferanten zurückzuführen sind. Möglicherweise enthalten auch die bestehenden Lieferverträge nachteilige Regelungen. Solche Klauseln können z.B. sein:
- Regelungen, nach denen überhaupt keine Belieferungspflicht besteht. Oft sind in langfristig angelegten Rahmenverträgen gar keine „harten″ Pflichten zur Annahme von Einzelbestellungen enthalten. Dann mag der Lieferant zwar lieferfähig, aber nicht lieferwillig gewesen sein, etwa weil sich aus der Verschiebung von Angebot und Nachfrage lukrativere Kundenaufträge ergeben haben.
- Klauseln, die es dem Lieferanten ermöglichen, Bestellungen zu stornieren. Zwar unterliegen solche Klauseln häufig den strengen Anforderungen des AGB-Rechts. Sind sie aber wirksam vereinbart, sind auch verbindlich vereinbarte Belieferungen schnell wertlos.
- „Just in time″ Klauseln, die Materiallieferungen erst in unmittelbarem Zusammenhang mit der Weiterverarbeitung vorsehen. Derartige Regelungen finden sich in allen Branchen, vor allem jedoch in der Automobilzulieferindustrie. Hintergrund ist, dass viele Unternehmen – auch aus Gründen der Liquidität und Kapitalbindung – kein eigenes Warenlager vorhalten möchten.
Das Ergebnis der kritischen Auseinandersetzung mit den bestehenden Verträgen sollte dazu genutzt werden, mit den Lieferanten wo immer möglich nachzuverhandeln. Dabei sollten auch die Punkte berücksichtigt werden, die im weiteren Verlauf dieses Beitrages für den Abschluss neuer Verträge aufgeführt sind. So wird die Krise zur Chance.
Prüfung möglicher (Wechsel-)Beschränkungen
Die Überprüfung der bestehenden Verträge ist nicht nur im Hinblick auf eine mögliche Neu- bzw. Nachverhandlung wichtig. Aus ihnen können sich auch Hindernisse für einen Lieferantenwechsel oder eine Ergänzung ergeben.
- Ist der Vertrag überhaupt kurzfristig kündbar?
- Nicht selten sehen Lieferverträge lange Laufzeiten oder lange Kündigungsfristen vor. Bestehen auch noch exklusive Vertragsbindungen (s.u.), kann der Wechsel oder der Ausbau der Lieferantenbasis ein langwieriger Prozess werden. Dementsprechend sollte geprüft werden, welche Möglichkeiten bestehen, laufende Verträge zu beenden. Kam es im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zu Lieferproblemen, kann unter Umständen die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung oder des Rücktritts vom Vertrag bestehen. Dabei kommt es allerdings sehr auf die Umstände des Einzelfalls und die konkrete Ausgestaltung des Vertrages an. So kann es zum Beispiel sein, dass zwar von konkreten (Einzel)Bestellungen zurückgetreten werden kann, ein bestehender Rahmenvertrag aber nicht ohne weiteres einem Rücktrittsrecht unterliegt.
- Gibt es keine Möglichkeit einer wie auch immer gearteten Lösung vom Vertrag, sollte der Abschluss eines Aufhebungsvertrages bedacht werden. Je nachdem, ob Abnahmepflichten oder Exklusivität vereinbart ist, kann aber auch erwogen werden, den Vertrag einfach „austrocknen″ zu lassen (siehe dazu aber weiter unten zu Beschränkungen aus Treu und Glauben).
- Bestehen exklusive Bezugsverpflichtungen oder Mindestabnahmepflichten?
- Häufig enthalten Lieferverträge Regelungen, dass die Produkte von keinem anderen Lieferanten bezogen werden dürfen. In eine ähnliche Richtung gehen verbindliche (Mindest-)Abnahmepflichten. Gelegentlich kommen solche Pflichten auch versteckt vor, z.B. im Rahmen einer Verpflichtung zum Bezug von Ersatzteilen für einen längeren Zeitraum nach Vertragsbeendigung. Oft sind derartige Verpflichtungen mit Vertragsstrafen verbunden.
- Beschränkungen aus Treu und Glauben
- Auch wenn der Vertrag keine „harten“ Abnahmepflichten vorsieht, kann aus Treu und Glauben gleichwohl eine Pflicht bestehen, die Lieferbeziehung nicht ohne Einhaltung einer gewissen Übergangsfrist zu beenden. Dies gilt umso mehr, je stärker ein Lieferant vom eigenen Unternehmen abhängig ist. Häufig machen einzelne Kunden einen ganz überwiegenden Anteil des Umsatzes eines Lieferanten aus. Entzieht einer dieser Kunden über einen längeren Zeitraum regelmäßig platzierte Aufträge von einem Moment auf den anderen komplett, geraten solche Lieferanten schnell in eine existenzbedrohende Lage. Auch dieser Umstand ist bei der Beendigung eines Vertrages zu beachten, kann aber nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls beurteilt werden.
- Bei all diesen Punkten empfiehlt sich immer eine vertiefte rechtliche Überprüfung, inwieweit die entsprechenden Klauseln wirksam vereinbart worden sind. Dies gilt vor allem für Regelungen zu Laufzeit, Exklusivität, Abnahmepflichten oder Vertragsstrafen, denn solche Klauseln unterliegen strengen Wirksamkeitsanforderungen aus Kartell-, Wettbewerbs- und AGB-Recht. Erweisen sich die Vorgaben jedoch als wirksam vereinbart, können Verstöße zu Schadenersatzansprüchen führen.
II. Vorsicht beim Neuabschluss von Verträgen
Hat man sich entschieden, Verträge mit Second-Source-Lieferanten abzuschließen, sollten die im Rahmen der Bestandsanalyse erkannten Probleme für die Zukunft vermieden und weitere wichtige Punkte geregelt werden. Die nachfolgende Liste ist nicht abschließend, sondern soll lediglich Ideen vermitteln, welche Punkte in künftigen Lieferantenbeziehungen bedacht werden sollten. Ganz allgemein ist der Abschluss von Rahmenverträgen zu empfehlen. Diese haben gegenüber einer Geschäftsbeziehung auf der Basis von Einzelbestellungen den Vorteil, dass zentrale Punkte für die gesamte Lieferbeziehung einheitlich geregelt werden können.
Auswahlkriterien für Lieferanten / Know Your Customer
Vor Abschluss eines neuen Vertrages sollte eine umfassende Überprüfung des künftigen Vertragspartners erfolgen. Von eventuellen unternehmensinternen Compliance-Vorgaben abgesehen können insbesondere die folgenden Aspekte von Bedeutung sein:
- Von wo erfolgt die Belieferung? Soll aus dem Nicht-EWR-Raum geliefert werden, wird man schnell selbst zum Importeur der Waren – mit allen sich daraus ergebenden rechtlichen Pflichten (z.B. Sicherstellung der CE-Konformität). Daneben bieten regionalere Bezugsquellen ggf. die Möglichkeit, bei Transportproblemen alternative Lieferwege zu nutzen.
- Sind die eigenen gewünschten oder erforderlichen Qualitätsanforderungen sichergestellt? Bewährte und eingespielte Abläufe sind häufig nicht auf Anhieb übertragbar, so dass vor allem zu Beginn einer neuen Lieferbeziehungen Reibungsverluste auftreten können.
- Verfügt der Lieferant über die notwendige finanzielle Ausstattung? Es kann riskant sein, auf einen neuen Lieferanten zu setzen, der sich gerade noch mühevoll von der letzten Krise erholt.
- Ist der Lieferant erreichbar? Viele Unternehmen standen in der gegenwärtigen Corona-Krise vor dem Problem, dass sie ihre Lieferanten schlicht gar nicht erreichen konnten.
Lieferpflichten vereinbaren
Mit den neuen Lieferanten sollten verbindliche Lieferpflichten (z.B. im Rahmen eines bestimmten Forecasts) vereinbart werden. Stornierungsmöglichkeiten des Lieferanten sollten vermieden werden. Die Vereinbarung einer vorrangigen Belieferung ist üblich, rechtlich aber riskant.
Erwägung besonderer Logistikkonzepte
Wie bereits ausgeführt kann auch eine fehlende Bevorratung schnell zu Nachschubproblemen führen. Die häufig anzutreffende Belieferung „just in time″ zeigte die Anfälligkeit von Lieferketten. Große räumliche Distanzen zwischen Lieferanten und Kunden erhöhen ebenfalls das Risiko von Problemen bei Zwischenschritten in der Lieferkette – seien es Ausfuhrbeschränkungen im Lieferantenland, Ausfall der Logistikunternehmen, Schließungen von Häfen, Streichungen von Flugverbindungen o.ä.
Abhilfe für diese Probleme bietet eine umfangreiche Bevorratung mit Waren am Produktionsort. Für Unternehmen, die diese Kapitalbindung nicht eingehen können oder wollen, können stattdessen Logistikkonzepte wie Kanbansysteme oder Konsignationslager eine Lösung sein. Dabei baut der Lieferant beim Kunden ein Warenlager auf, aus dem die notwendigen Bedarfe bedient werden können. Waren im Lager bleiben i.d.R. Eigentum des Lieferanten. Kaufvertragsschluss und Eigentumsübergang erfolgen erst im Zeitpunkt der Entnahme aus dem Lager. Auch wenn natürlich auch solche eingerichteten Lager endlich sind, besteht so die Möglichkeit, kurz- und mittelfristige Lieferengpässe besser zu überbrücken.
Vertragslaufzeiten gut abwägen: Sicherheit vs. Flexibilität
Die Vertragslaufzeit und die Möglichkeit, den Vertrag – ggf. auch kurzfristig – beenden zu können, sind wichtige Aspekte für die neu abzuschließenden Verträge. Einerseits dient eine längere Laufzeit der eigenen Planungssicherheit (wenn sie durch Lieferpflichten abgesichert ist, s.o.). Andererseits erhalten kurzfristige Beendigungsmöglichkeiten die eigene Flexibilität.
Corona-Klauseln aufnehmen
Da das deutsche Recht grds. das Konstrukt „Force-Majeure″ für Lieferverträge nicht kennt, sollte in neue Verträge eine detaillierte Force-Majeure-Klausel aufgenommen werden. Der gegenwärtigen Corona-Pandemie sollte dabei gesondert Rechnung getragen werden. Denn Voraussetzung für eine Berufung auf höhere Gewalt ist, dass das Ereignis bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar war. Bei Verträgen, die nach Bekanntwerden des erheblichen Ausmaßes der Corona-Pandemie abgeschlossen werden, ist dies nicht mehr der Fall. Daher sollte dort klargestellt werden, dass Beeinträchtigungen aufgrund des Coronavirus auch weiterhin keine Haftung begründen sollen. Bei der Formulierung entsprechender Klauseln ist insbesondere das AGB-Recht zu beachten.
Exklusivbezug meiden
Im Hinblick auf die Frage, inwieweit eine exklusive Bezugsverpflichtung vereinbart werden soll, ist darauf zu achten, sich nicht zu sehr an einen Lieferanten zu binden (s.o.). Gerade beim Aufbau von Second-Source-Strukturen sollten derartige Regelungen daher nach Möglichkeit vermieden werden.
Rechtswahl und Gerichtsstand beachten
Auch wenn bei jedem Vertrag genau geprüft werden sollte, welchem Recht er unterstehen soll und wo gerichtlicher Schutz begehrt werden kann, gewinnen diese Fragen in Anbetracht der Corona-Krise nochmals an Relevanz. Denn im Fall einer Lieferunterbrechung kann es besonders wichtig sein, schnell Rechtsschutz zu erlangen (z.B. per einstweiliger Verfügung). Die Wahl eines ausländischen Rechts oder Gerichtsstands kann dabei hinderlich sein.
Fazit: Stärkung des Einkaufs als wichtiger Baustein zur Resilienz in Krisenzeiten
Die Corona-Pandemie hat deutlich gezeigt, wie schnell Lieferketten unter Stress geraten können. Das Risiko steigt umso mehr, je weniger Lieferanten existieren, je weiter diese vom Kunden entfernt sind und je mehr „just in time″ vereinbart ist. Die Diversifizierung des Einkaufs ist daher ein wichtiger Schritt zur effektiven Risikostreuung. Beim Abschluss von neuen oder zusätzlichen Lieferverträgen ist dabei sowohl den bestehenden als auch den neu abzuschließenden Verträgen besonderes Augenmerk zu schenken. Hier zu investieren steigert die Resilienz des Einkaufs für die nächste Krise.
In unserer Blogserie zu „Coronavirus: Handlungsempfehlungen für Unternehmen″ zeigen wir anhand der aktuellen Situation unternehmensbezogene Stolpersteine auf, die in Krisenzeiten zu beachten sind. Bereits erschienen sind Beiträge zu Verhandlungen, Verjährungen und Verfristungen sowie Haftungsfragen bei Absagen von Messen- und Veranstaltungen, zum Datenschutz trotz Corona und zu Möglichkeiten von Aktiengesellschaften zur Cash-Ersparnis sowie Vermögensübertragungen zu steuergünstigen Konditionen. In weiteren Beiträgen gehen wir ein auf die Erstellung eines Notfallplans, auf Vertriebsverträge und Tips Lieferanten in Krisenzeiten und auf Auswirkungen auf Lebensmittel- und Hygieneverordnungen. Im Anschluss haben wir uns mit der streitigen (gerichtliche) Auseinandersetzung befasst, sind auf kartellrechtliche Auswirkungen sowie die Bedeutung für den Kapitalmarkt eingegangen. Näher befasst haben wir uns auch mit „infizierten″ Vertragsverhandlungen, den Änderungen in Mittel- und Osteuropa sowie mit klinischen Studien und dem neuen EU-Leitfaden für Sponsoren uns Prüfärzte. Weiter geht es mit Pflichten zur Abgabe der Steuererklärung und eventuell steuerstrafrechtlichen Haftungsrisiken, dem Moratorium für Zahlungsverpflichtungen von Verbrauchern und Kleinstunternehmern, Unterstützungsmaßnahmen für Start-ups, das Kurzarbeitergeld, sowie den Erleichterungen für Stiftungen und Vereine und GmbH-Gesellschafterbeschlüsse. Es folgten weitere Beiträge zu Kooperationen im Gesundheitswesen und zu Sachspenden an Krankenhäuser, zum Marktzugang für persönliche Schutzausrüstung und Medizinprodukte, zur Beschlagnahmemöglichkeit von Schutzausrüstung durch den Staat und zu Auswirkungen auf laufende IT-Projekte.
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