23. Januar 2020
Vesting
Venture Capital

Vesting: Wer das Start-up verlässt, verliert Anteile!

Für Investoren häufig ein "Muss": Dass Gründer-Anteile erst angespart (engl. "gevestet") werden müssen, ist eine verbreitete Regelung.

Für den wirtschaftlichen Erfolg eines jungen Start-ups ist es essentiell, dass die Gründer des Unternehmens, in der Regel als Geschäftsführer, „an Bord bleiben″. Sie sind am besten mit den Chancen und Risiken der von ihnen verfolgten Geschäftsidee vertraut und die eigentlichen Treiber des Unternehmens. Wenn ein Investor in ein frühes Start-Up investiert, investiert er daher hauptsächlich in die Gründer und deren Idee. Ohne diese sind seine Anteile am Start-Up nicht viel wert.

Gründer-Ausstieg als Risiko für Investoren, aber auch für Mitgründer

Der Haken für den Investor, aber auch für die Mitgründer: Gründer sind Menschen, und Menschen ändern ihre Pläne. Niemand kann einen Gründer rechtlich daran hindern, bereits kurz nach Einstieg des Investors sein Geschäftsführeramt niederzulegen; sei es für eine familiäre Auszeit oder eine Weltreise.

Selbst wenn ein Geschäftsführer-Dienstvertrag mit Mindestlaufzeit besteht, sind die direkten rechtlichen Sanktionsmöglichkeiten gegen den aussteigenden Gründer begrenzt:

  • Nach deutschem Recht lässt sich eine Dienstpflicht nicht durch gerichtlichen Zwang, d.h. Zwangsgeld oder Zwangshaft, durchsetzen. Ein solcher Vorgang wäre auch widersinnig: Mehr als ein unbrauchbarer „Dienst nach Vorschrift″ würde unter Androhung von Zwangsmitteln kaum herauskommen.
  • Theoretisch kommt zwar eine Schadensersatzpflicht des Gründers in Betracht: Ein Schaden für das Start-Up durch seinen Ausstieg lässt sich aber schwer nachweisen, denn der ehemalige Geschäftsführer erhält ja kein Gehalt mehr. Es entstehen zwar (nachweisbare) Kosten für die Suche nach einem Nachfolger, die ggf. durch den aussteigenden Gründer zu erstatten sind. Diese sind freilich nebensächlich im Vergleich zu den durch Verlust von Know-How und Kontakten verursachten Problemen des Start-Ups, für die sich kein Schadensersatz in Geld bemessen lässt.

Schlimmer noch: Die Beendigung seiner Stellung als Geschäftsführer ändert zunächst nichts an der Rolle des Gründers als Gesellschafter seines Start-Ups. Mit anderen Worten: Der aussteigende Gründer leistet von nun an nichts mehr für das Start-Up – anders als seine Mitgründer, die „an Bord geblieben″ sind – würde aber trotzdem über seine Start-Up-Anteile bei einem späteren erfolgreichen Exit finanziell voll profitieren.

Zumindest das zuletzt erwähnte Risiko ist für Investoren, aber auch für die Mitgründer, häufig nicht akzeptabel. Zudem werden die Anteile des aussteigenden Gründers zur Inzentivierung eines neuen Geschäftsführers (so steuerlich gestaltbar) benötigt.

Vesting-Regelungen als Sanktionsmechanismus

Daher hat sich in der VC-Praxis das sog. „Vesting″ als Sanktionsmechanismus etabliert. In diesem englischen Begriff kommt der Gedanke eines „Ansparens″ oder „Erdienens″ von Start-up-Anteilen zum Ausdruck: Die Idee ist, dass ein Gründer seine Anteile am Start-Up, die er bei Einstieg des Investors bereits hält, eigentlich noch gar nicht „verdient″ hat, sondern sie sich noch über eine gewisse Frist (die sog. „Vesting-Periode″) „erarbeiten″ muss. Eine solche Vesting-Periode dauert meist zwischen zwei und fünf Jahren. Beendet der Gründer seine Tätigkeit für das Start-Up vor Ablauf der Vesting-Periode, muss er dementsprechend mindestens die noch nicht „erarbeiteten″, ggf. aber auch alle Anteile (siehe unten) abgeben.

Zunächst ist dieses Bild etwas konterintuitiv, weil die Start-Up-Anteile dem Gründer bei gemeinsamer Gründung des Start-ups oder bei späterem Einstieg des Investors durch Kapitalerhöhung ja bereits gehören. Ganz plakativ: Warum soll der Gründer sich die Anteile, die er bereits hält, noch „erarbeiten″ müssen?

Zumindest in der frühen Phase eines Start-Ups ergibt dieser Gedanke aber durchaus Sinn: Denn, wie oben beschrieben, beruht die Investmententscheidung des Investors auf der Annahme, dass die Gründer das Start-Up über eine bestimmte Dauer voranbringen. Nur in dem Maße, in dem sich ein Gründer für das Start-Up einsetzt, will der Investor ihm auch Anteile am Start-Up zugestehen.

Nachträgliche Ausgabe von Gründer-Anteilen keine Alternative

Nun mag man fragen: Warum werden die Gründer-Anteile dann nicht lieber schrittweise ausgegeben, z.B. jährlich – und natürlich nur an diejenigen Gründer, die zum jeweiligen Zeitpunkt dann noch für das Start-Up tätig sind?

Technische und steuerliche Gründe stehen einer solchen Mechanik jedoch definitiv entgegen: Aus technischer Sicht schadet das Erfordernis regelmäßiger Kapitalerhöhungen oder Anteilsübertragungen, die kostspielig zu beurkunden wären. Aus steuerlicher Sicht verbietet sich die gegenleistungsfreie Ausgabe oder Übertragung von Anteilen an die Gründer; denn dies löst Lohn- oder zumindest Schenkungssteuer aus. Schließlich erscheint es auch aus psychologischer Sicht nachteilig, den Gründern ihre Start-up-Anteile erst nachlaufend zu gewähren. Schließlich sollen sie das Start-up von Anfang an als „ihr″ Unternehmen begreifen.

Vesting-Regelungen im Detail: Good-Leaver, Bad-Leaver & Co.

Wenn also nur durch Vesting-Regelungen abgesichert werden kann, dass ein Gründer bei einem Ausstieg Anteile am Start-up wieder abgeben muss, stellen sich zwei Fragen: Wie viele Anteile muss der aussteigende Gründer abgeben? Zu welchem Preis?

Die Antworten darauf sind eng verknüpft mit einer binären Unterteilung der Ausstiegsgründe, die sich in der VC-Praxis entwickelt hat: Die Unterteilung der Ausstiegsszenarien in „Good Leaver″- und „Bad Leaver″-Fälle.

Generell gilt ein Gründer zumindest dann als „Good Leaver″, wenn ihm die Gesellschaft gekündigt bzw. ihn aus seiner Geschäftsführerstellung abberufen hat, ohne dass ein vom Gründer gesetzter wichtiger Grund vorlag (Beispiel: ein Mitgründer und Investoren verbünden sich gegen den Gründer und berufen ihn von seinem Geschäftsführeramt ab), oder – so makaber es klingen mag – wenn ein Gründer verstirbt.

Umgekehrt gilt ein Gründer zumindest dann als „Bad Leaver″, wenn seine Tätigkeit aus einem von ihm gesetzten wichtigen Grund endet (Beispiel: Gründer veruntreut Gelder der Gesellschaft). Zwischen diesen klaren Fällen existieren allerdings Grenzfälle, deren Zuordnung unklar ist, wie bei der Eigenkündigung des Gründers als Grenzfall.

Einigkeit besteht nun darüber, dass der „Good Leaver″ besser zu behandeln ist als der „Bad Leaver″. Unklar ist allerdings, wie weit der Sanktionsrahmen zu Lasten des ausscheidenden Gründers überhaupt reichen soll.

Aus Investorenperspektive wäre z.B. folgender „harter″ Sanktionsmechanismus wünschenswert, bei dem in jedem Fall alle Gründer-Anteile abgegeben werden müssen und nur der zu zahlende Anteilspreis variiert:

  • Good Leaver: Der Gründer muss alle seine Anteile am Start-Up abgeben, erhält für die „erarbeiteten″ („gevesteten″) Anteile jedoch den Verkehrswert (oder einen hohen Prozentsatz davon) ausbezahlt. Für die übrigen, d.h. „ungevesteten″ Anteile erhält er nur den Nominalwert, d.h. EUR 1 pro Anteil.
  • Bad Leaver: Der Gründer muss alle seine Anteile am Start-Up abgeben und erhält für diese – egal, ob gevestet oder ungevestet – nur den Nominalwert, d.h. EUR 1 pro Anteil.

Ein Gründer mag dagegen eher folgenden „sanften″ Sanktionsmechanismus bevorzugen, der ihm seine „erarbeiteten″ Anteile in beiden Varianten voll erhält:

  • Good Leaver: Der Gründer behält seine „gevesteten″ Anteile und muss nur seine „ungevesteten″ Anteile zum Verkehrswert abgeben.
  • Bad Leaver: Der Gründer behält seine „gevesteten″ Anteile und muss ebenfalls nur seine „ungevesteten″ Anteile, diese aber zum Nominalwert, d.h. EUR 1 pro Anteil, abgeben.

Als Verhandlungsergebnis gibt es zwischen diesen beiden denkbaren Polen dann diverse Varianten.

Hintergrund dieses Variantenreichtums:

Der Gedanke der Vergütung der geleisteten Aufbauarbeit steht im Widerspruch zu den Interessen der Investoren und Mitgründer an einem vollständigen – und möglichst kostengünstigen! – Erwerb der Anteile des aussteigenden Gründers. Für das Start-Up wäre es das Beste, würde der aussteigende Gründer seine sämtlichen Anteile in jedem Fall zum Nominalwert abgeben müssen. Dann könnten in jedem Fall kostengünstig neue Anteile an einen quereinsteigenden (Neu-)Gründer gegeben werden (in steuerrechtlichen Grenzen). Gegen eine solche pauschale „harte″ Lösung sprechen aber neben den Eigeninteressen des ausscheidenden Gründers auch gesellschaftsrechtliche und ggf. arbeitsrechtliche Aspekte: Die Sanktionsdrohung des Entzugs der Teilhabe an einem (mit)geschaffenen Unternehmenswert ist problematisch, insbesondere wenn der Anteilsverlust derart massiv wäre, dass der Gründer dadurch quasi gezwungen wird, dem Start-up treu zu bleiben. Daher ist ein fairer Kompromiss zwischen Investoren- und Gründerinteressen auch rechtlich geboten.

Die Eigenkündigung des Gründers als Grenzfall

Dass der Gründer aus eigener Entscheidung – und ohne, dass ein ihn dazu berechtigender wichtiger Grund vorliegt – seine Anstellung als Geschäftsführer kündigt bzw. sein Amt niederlegt, ist einerseits wahrscheinlich das häufigste Ausstiegsszenario. Andererseits lässt sich gerade dieses Szenario schwer in die „Good Leaver″/″Bad Leaver″-Dichotomie einordnen.

Aus Investorensicht ist natürlich eine Einordnung der Eigenkündigung als „Bad Leaver″ mit der härteren Sanktionswirkung wünschenswert. Die Gründerseite wird dagegen einwenden, dass es im privaten Bereich häufig Gründe geben wird, die zu einer Beendigung der Gründertätigkeit zwingen, ohne dass sie einen justiziablen Grund dafür darstellen, z.B. privates Zerwürfnis mit dem Mitgründer, fehlende Vereinbarkeit der Gründertätigkeit mit familiären Pflichten, Umzug an den Arbeitsort des Lebenspartners. Deshalb sei eine Einordnung als „Good Leaver″ notwendig.

Am Ende kann ein Kompromiss sein, nur bestimmte Eigenkündigungen (z.B. aus familiären Gründen) als „Good Leaver″-Fälle anzuerkennen. Oder man regelt die Rechtsfolgen der Eigenkündigung als gesonderte Kompromisslösung, also nachteiliger als die „Good Leaver″-Sanktionen, aber vorteilhafter als die „Bad Leaver″-Sanktionen (sog. „Grey Leaver″-Fall).

Rechtstechnik: Call Option oder Einziehung

Zur technischen Umsetzung des Vestings: Der Erwerb der Anteile vom aussteigenden Gesellschafter durch die Gesellschaft, die Mitgesellschafter oder Dritte lässt sich entweder durch eine in einer Gesellschaftervereinbarung oder dem Gesellschaftsvertrag eingeräumte „Call-Option″ umsetzen, oder der Ausstieg des Gründers wird im Gesellschaftsvertrag als Einziehungsgrund bezüglich seiner Anteile definiert. Da die Variante der Call-Option technisch flexibler einsetzbar ist, wird ihr häufig der Vorzug geben.

Aus Investorensicht vorzugswürdig ist dann zudem eine Ausgestaltung der Call-Option, die „dingliche Wirkung″ entfaltet. Denn dann reicht grundsätzlich die einseitige notarielle Beurkundung einer Annahmeerklärung durch die Berechtigten aus, damit der aussteigende Gründer Anteile verliert. Die verbleibenden Gesellschafter können also durch einen Gang zum Notar „Fakten schaffen″. Das birgt allerdings auch Konfliktpotenzial: Je nach Ausgestaltung der Call-Options-Klausel wird der Notar in solchen Fällen zu einem vorläufigen „Richter″, der über das Vorliegen des „Good Leaver″- bzw. „Bad Leaver″-Falls zu entscheiden hat.

Fazit: Vorsorglich absichern, denn Pläne ändern sich!

Bei Verhandlung einer Gesellschaftervereinbarung oder eines Gesellschaftsvertrags mit dem Investor steht das Thema Vesting selten ganz im Vordergrund. Denn ein Gründer wird nicht den Eindruck erwecken wollen, er spiele bereits mit dem Gedanken auszusteigen. Auch ein Investor wird das Thema, auch wenn er es als Absicherung fordert, nicht zu hoch hängen. Trotzdem ist es ein zentrales Thema. Denn Gründer sind Menschen. Und Menschen ändern ihre Pläne.

Dies ist ein Beitrag aus unserer Blogserie „Venture Capital Basics. Auch die verschiedenen Arten von Venture Capital Investoren sowie das Corporate Venture Capital haben wir bereits beleuchtet. Weitere Beiträge, wie Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Venture Capital & Private EquityFinanzierungsarten für Start-ups und den Finanzierungsrunden sind gefolgt. Anschließend sind wir aufs Bridge Financing für Start-ups, auf den Ablauf eines Venture Capital Investments und das Term Sheet sowie die wichtigsten Vertragsdokumente einer VC-Beteiligung eingegangen. Es folgten Beiträge zu der Anti Dilution Protection, der Vinkulierung & Co sowie „RoFR″ und „Co-Sale″. Zuletzt haben wir uns mit dem sog. „genehmigten Kapital″ beschäftigt.

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