26. März 2020
Klinische Studien Corona
Life Sciences & Healthcare Coronavirus - Handlungsempfehlungen für Unternehmen

Klinische Studien unter COVID-19: Neuer EU-Leitfaden für Sponsoren und Prüfärzte

COVID-19 gefährdet Arzneimittelstudien: Kein Patientenkontakt, Ärzte in Quarantäne, knappe Prüfpräparate. Was Beteiligte jetzt beachten sollten.

Die COVID-19-Pandemie hat dramatische Auswirkungen auf die europäischen Gesundheitssysteme. In erster Linie betrifft sie die Behandlung von Patienten sowohl im stationären als auch im ambulanten Sektor.

Es geht aber auch um laufende oder geplante klinische Studien. Solche Studien sind wichtig für die Entwicklung von Medikamenten, unter anderem in der Virologie, einschließlich COVID-19. Sponsoren und Prüfärzte müssen angesichts der aktuellen Umstände reagieren und die Art und Weise, wie sie ihre Studien und die daran teilnehmenden Personen managen, anpassen.

Harmonisierter EU-Leitfaden zur Durchführung klinischer Studien im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie

Brennenden Fragen von hoher praktischer Relevanz für klinische Studien in Zeiten von COVID-19 sind: Was passiert, wenn die Studienteilnehmer isoliert werden oder sich in Quarantäne begeben müssen? Wie wird der Studienplan beeinflusst, wenn der Zugang zu öffentlichen Einrichtungen, einschließlich Krankenhäusern, wegen des Risikos der Verbreitung von Infektionen eingeschränkt ist? Was passiert, wenn medizinisches Personal zur Bekämpfung von COVID-19 umverteilt oder selbst uunterstützungsnter Quarantäne gestellt wird? Und wie soll mit möglichen Engpässen bei der Bereitstellung von Prüfpräparaten umgegangen werden?

Ein neuer harmonisierter EU-Leitfaden soll Sponsoren und Prüfärzten in diesen unsicheren Zeiten nun helfen, klinische Prüfungen weiter durchzuführen. Am 20. März 2020 veröffentlichten die Europäische Kommission, die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) und die nationalen Leiter der Arzneimittelagenturen (HMA) neue Empfehlungen zur Durchführung klinischer Studien im Zusammenhang mit der Pandemie der Coronavirus-Krankheit (COVID-19).

Durchführung einer Studie sowie die Sicherheit und das Wohlergehen der Studienteilnehmer zu sichern

Der Leitfaden enthält konkrete Handlungsempfehlungen, die bei der Durchführung klinischer Studien im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie erforderlich sein können. Dies mit dem Ziel, die größtmögliche Sicherheit der Studienteilnehmer in der gesamten Europäischen Union zu gewährleisten und gleichzeitig die Qualität der aus den Studien gewonnenen Daten zu erhalten.

Einleitend heißt es in dem Leitfaden, die Situation entwickle sich stetig weiter. Daher seien pragmatische Maßnahmen erforderlich, um die Durchführung der Studie sowie die Sicherheit und das Wohlergehen der Studienteilnehmer zu sichern. Nach dem Leitfaden sollten die Auswirkungen von COVID-19 auf laufende Studien, auf die Hinzufügung eines neuen Prüfzentrums in einer bestehenden Studie, auf die laufende Rekrutierung und die Einbeziehung neuer Teilnehmer in die Studie oder auf den Beginn einer neuen Studie berücksichtigt werden. Es ist zu erwarten, dass der Leitfaden je nach der weiteren Entwicklung der Situation aktualisiert wird.

Zum Geltungsbereich weist der Leitfaden darauf hin, dass klinische Prüfungen häufig auf der Ebene der EU-Mitgliedstaaten genehmigt und überwacht werden. Sponsoren und Prüfer müssen daher berücksichtigen, dass möglicherweise spezifische nationale Gesetze und Leitlinien eingreifen. Solche nationalen Vorschriften würden den Leitfaden ergänzen oder in Bezug auf bestimmte Angelegenheiten sogar Vorrang vor den darin enthaltenen Empfehlungen haben.

EU-Leitfaden mit konkreten Empfehlungen

Den Kern des Leitfadens bilden konkrete Empfehlungen für eine Reihe von Punkten:

  • Neue Studien: Sponsoren sollten die Durchführbarkeit einer neuen klinischen Studie oder die Einbeziehung neuer Studienteilnehmer in eine laufende Studie kritisch prüfen.
  • Laufende Studien: Sponsoren wird empfohlen, bei ihrer Risikobewertung zu prüfen, ob bestimmte Maßnahmen während COVID-19 ergriffen werden sollten. Als Maßnahmen, die auch mit den Prüfärzten abzustimmen sind, listet die Leitlinie auf:
    • Ersetzung von physischen Besuchen durch telefonische oder Video-Konsultationen, Verschiebung oder vollständige Absage von Besuchen, um sicherzustellen, dass nur die unbedingt notwendigen Besuche an den Prüfstellen durchgeführt werden;
    • Vorübergehender Stopp der Prüfung an einigen oder allen Prüfzentren;
    • Aussetzung oder Verlangsamung der Rekrutierung neuer Studienteilnehmer;
    • Verlängerung der Dauer der Studie;
    • Verschiebung von Studien oder Aktivierung von Studienzentren, die noch nicht begonnen wurden;
    • Schließung von Prüfzentren;
    • Maßnahme zur Gewährleistung der Patientensicherheit;
  • Risikomanagement: Der Leitfaden empfiehlt, alle Entscheidungen zur Anpassung klinischer Studien auf Basis einer soliden Risikobewertung zu treffen, wobei die Sicherheit der Teilnehmer an erster Stelle stehe, insbesondere bei zusätzlichen Herausforderungen aufgrund von COVID-19.
  • Kommunikation mit Behörden: Ereignisse, die schwerwiegende Auswirkungen auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis der klinischen Prüfung haben könnten, müsse der Sponsor sofort zum Schutz der Prüfungsteilnehmer ergreifen. Wenn keine sofortigen Maßnahmen erforderlich seien, sollten Änderungsanträge einzureichen sein. Die Sponsoren sollten aber bedenken, dass nur begrenzte Kapazität zur Prüfung zur Verfügung stehen. Eine Überberichterstattung solle vermieden werden.
  • Vertragsanpassungen und Kommunikation mit Prüfzentren: Der Leitfaden empfiehlt, bestehende Vereinbarungen mit Prüfstellen zu modifizieren, um Änderungen der Studiendurchführung zu reflektieren, zu dokumentieren und klar zu kommunizieren.
  • Anpassungen Einwilligungserklärungen: Sponsoren sollten den aktuellen Druck auf die Ärzteschaft berücksichtigen und sorgfältig prüfen, ob es sinnvoll ist, neue Teilnehmer in laufende Studien aufzunehmen. Absolute Priorität solle klinischen Studien zur Behandlung von COVID-19 und COVID-19-bezogenen Krankheiten oder Studien zu schweren Krankheiten ohne zufriedenstellende Behandlungsmöglichkeit eingeräumt werden. Wenn erneute Einwilligungen für die Durchführung neuer dringender Änderungen bei der Durchführung von Studien erforderlich seien, solle ein Besuch der Zentren allein zum Zweck der Einholung einer erneuten Einwilligung vermieden werden. Stattdessen sollten während der Pandemie alternative Wege zur Einholung solcher erneuter Einwilligungen in Betracht gezogen werden, etwa die Kontaktaufnahme mit den Studienteilnehmern per Telefon oder Videoanruf und die Einholung mündlicher Einwilligungen, ergänzt durch eine Bestätigung per E-Mail. Jede auf diese Weise erlangte Einwilligung sollte dokumentiert und später, wenn die Studienteilnehmer wieder an den Zentren seien, bestätigt werden.
  • Änderungen in der Verteilung der Prüfpräparate: In dem Leitfaden heißt es, dass Änderungen in der Verteilung der Prüfpräparate erforderlich sein können, um Besuche in den Prüfzentren zu vermeiden und den Patienten trotzdem die Behandlung zu ermöglichen. Die Sponsoren sollten die Risiken im Zusammenhang mit dem betreffenden Produkt bewerten und alle alternativen Versand- und Lagerungsvorkehrungen in Betracht ziehen, einschließlich der Lieferung von Prüfpräparaten direkt in die Wohnung der Prüfungsteilnehmer.
  • Änderungen beim Monitoring: Gemäß dem Leitfaden müssen bestimmte Verantwortlichkeiten des Sponsors für die Überwachung möglicherweise neu bewertet werden, und es können vorübergehende, alternative, angemessene Mechanismen für die Überwachung erforderlich sein, z.B. in Bezug auf die Überwachung vor Ort in Prüfzentren.
  • Abweichungen vom Prüfprotokoll: Laut Leitfaden wird die COVID-19-Situation vermutlich mehr Protokollabweichungen als normal mit sich bringen. Der Leitfaden fordert GCP-Inspektoren auf, einen angemessenen Ansatz zu wählen, wenn solche Abweichungen während der Inspektionen überprüft werden.
  • Rückerstattung von außergewöhnlichen Kosten: Wenn die Durchführung dringender Maßnahmen zum Schutz der an einer klinischen Prüfung beteiligten Teilnehmer zusätzliche Kosten für die Prüfungsteilnehmer verursacht, sollten diese Kosten vom Sponsor über den Prüfer erstattet werden. Wenn den Prüfstellen eine zusätzliche finanzielle Entschädigung gewährt wird, z.B. für die Lieferung von Prüfpräparaten, müssen diese Kosten dokumentiert und gemäß der nationalen Gesetzgebung und/oder Leitlinien erstattet werden.
  • Einleitung neuer Studien zur Erprobung neuer Behandlungen für COVID-19: Die EU-Mitgliedstaaten unterstützen große multinationale klinische Studien zur Untersuchung neuer Behandlungen für COVID-19.

Fazit: EU-Leitfaden gibt Anhaltspunkte zur Durchführung von Studien während der Corona-Pandemie

Der Leitfaden sendet ein wichtiges Signal an alle Sponsoren und Prüfer, die in diesen schwierigen Zeiten an der Planung oder Durchführung klinischer Studien beteiligt sind. Die in diesem Bereich tätigen Akteure sollten für sich selbst klären, wie sie reagieren und ihr klinisches Studienmanagement anpassen können.

Dabei ist neben den in dem Leitfaden genannten Aspekten zu bedenken, dass auch die nationalen Behörden und Ethikkommissionen in die Umsetzung konkreter Maßnahmen einbezogen werden müssen.

In unserer Blogserie zu „Coronavirus: Handlungsempfehlungen für Unternehmen″ zeigen wir anhand der aktuellen Situation unternehmensbezogene Stolpersteine auf, die in Krisenzeiten zu beachten sind. Bereits erschienen sind Beiträge zu Verhandlungen, Verjährungen und Verfristungen sowie Haftungsfragen bei Absagen von Messen und Veranstaltungen, zum Datenschutz trotz Corona und zu Möglichkeiten von Aktiengesellschaften zur Cash-Ersparnis sowie Vermögensübertragungen zu steuergünstigen Konditionen. In weiteren Beiträgen gehen wir ein auf die Erstellung eines Notfallplans, auf Vertriebsverträge und Tipps für Lieferanten in Krisenzeiten und auf Auswirkungen auf Lebensmittel- und Hygieneverordnungen. Im Anschluss haben wir uns mit der streitigen (gerichtlichen) Auseinandersetzung befasst, sind auf kartellrechtliche Auswirkungen sowie die Bedeutung für den Kapitalmarkt eingegangen. Näher befasst haben wir uns auch mit „infizierten″ Vertragsverhandlungen, den Änderungen in Mittel- und Osteuropa sowie mit klinischen Studien und dem neuen EU-Leitfaden für Sponsoren uns Prüfärzte. Weiter geht es mit Pflichten zur Abgabe der Steuererklärung und eventuell steuerstrafrechtlichen Haftungsrisiken, dem Moratorium für Zahlungsverpflichtungen von Verbrauchern und KleinstunternehmernUnterstützungsmaßnahmen für Start-ups, das Kurzarbeitergeld, sowie den Erleichterungen für Stiftungen und Vereine und GmbH-Gesellschafterbeschlüssen. Es folgten weitere Beiträge zu Kooperationen im Gesundheitswesen und zu Sachspenden an Krankenhäuser, zum Marktzugang für persönliche Schutzausrüstung und Medizinprodukte, zur Beschlagnahmemöglichkeit von Schutzausrüstung durch den Staat und zu Auswirkungen auf laufende IT-Projekte. Zuletzt haben wir auf die Haftung bei betrieblichen Corona-Schutzimpfungsprogrammen hingewiesen.


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