29. Juli 2020
Insolvenzantragspflicht Haftung Corona
Coronavirus - Handlungsempfehlungen für Unternehmen Restrukturierung und Insolvenz

Insolvenzantragspflicht in Zeiten der COVID-19-Pandemie

Nach wochenlangem, wirtschaftlichem Stillstand geht Unternehmen das Geld aus. Stellt der Geschäftsführer zu spät Insolvenzantrag, drohen ihm Haftungsrisiken.

Ist eine GmbH oder eine AG zahlungsunfähig oder überschuldet, sind Geschäftsführung und Vorstand verpflichtet, Insolvenzantrag zu stellen (§ 15a Abs. 1 S. 1 InsO).

Geschäftsleiter müssen den Insolvenzantrag „ohne schuldhaftes Zögern″ stellen; häufig heißt dies in der Praxis „sofort″. Der Bundesgerichtshof verlangt den Geschäftsleitern nämlich einiges ab: In Krisensituationen müssen sie die Solvenz ihres Unternehmens täglich prüfen und somit tagesaktuell wissen, ob eine Insolvenzreife eingetreten ist.

Ein Zuwarten bis maximal drei Wochen nach Eintritt der Überschuldung oder der Zahlungsunfähigkeit ist nur möglich, wenn und solange begründete Aussichten auf die Beseitigung der Insolvenzreife bestehen. Kommen die Geschäftsleiter dieser Pflicht nicht (rechtzeitig) nach, besteht das Risiko, dass sie für geleistete Zahlungen in Regress genommen werden, Schäden von Gläubigern wegen der verspäteten Insolvenzantragstellung ersetzen müssen und sich sogar strafbar machen. Für Insolvenzverschleppung droht Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe!

Die Folgen des wochenlangen Lock-Downs der deutschen und der internationalen Wirtschaft spüren viele Unternehmen nun. Einige Unternehmen haben ihre finanziellen Reserven aufgebraucht; ihnen geht das Geld aus. Sind sie nicht mehr in der Lage ihre fälligen Rechnungen zu bezahlen, sind sie zahlungsunfähig und damit insolvent.

Aussetzung der Pflicht zur Insolvenzantragstellung aufgrund der COVID-19-Pandemie

Der Corona-Gesetzgeber hat diese Insolvenzwelle bereits Anfang März auf die deutsche Wirtschaft zurollen sehen und daher frühzeitig reagiert. Die Pflicht zur Insolvenzantragstellung wird durch § 1 S. 1 COVInsAG vorübergehend weitestgehend ausgesetzt. Dies schützt Geschäftsleiter einerseits vor einer strafbaren Insolvenzverschleppung, andererseits werden auch die zivilrechtlichen Haftungsrisiken für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife eingeschränkt.

Dies gilt allerdings nur, wenn die Insolvenzreife auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Näheres zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht finden Sie in unserem Blogbeitrag: Coronavirus: Aussetzung der Insolvenzantragspflicht.

In zeitlicher Hinsicht gilt die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nur vom 1. März 2020 bis zum 30. September 2020. Das COVInsAG hat das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz ermächtigt, den Aussetzungszeitraum zu verlängern, wenn dies

aufgrund fortbestehender Nachfrage nach verfügbaren öffentlichen Hilfen, andauernder Finanzierungsschwierigkeiten oder sonstiger Umstände geboten erscheint

(§ 4 COVInsAG). Ob die Aussetzungsfrist tatsächlich verlängert wird, ist noch nicht klar.

Achtung: Haftungsfallen für Geschäftsleiter

Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass Geschäftsleiter in die Haftungsfalle tappen. Geschäftsführer einer GmbH und Vorstände einer AG – oder auch eines Vereins – müssen die wirtschaftliche Lage ihres Unternehmens vor allem in Krisenzeiten gut im Auge behalten. Die Geschäftsleiter sollten sich keinesfalls blind auf die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht verlassen:

  • Ein Unternehmen, das nun zahlungsunfähig wird, kann bereits lange Zeit zuvor – und damit vor der COVID-19-Pandemie – überschuldet gewesen sein. Ist dies der Fall, profitiert der Geschäftsleiter nicht von der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, da der Eintritt der Insolvenzreife nicht auf der COVID-19-Pandemie beruht.
  • Ist die Zahlungsunfähigkeit eingetreten, ist die Insolvenzantragspflicht nur ausgesetzt, wenn Aussichten darauf bestehen, die Zahlungsunfähigkeit auch wieder bis zum Ende des Aussetzungszeitraums zu beseitigen.
  • Strafrechtliche Risiken bestehen, wenn Verträge abgeschlossen werden, obwohl der Geschäftsleiter weiß, dass sein Unternehmen seine Leistungspflicht nicht erfüllen kann.

Es ist daher wichtig, dass Geschäftsleiter stets einen guten Überblick über ihre wirtschaftliche Lage haben. Tritt eine Insolvenzreife ein, sollte gut dokumentiert werden, warum diese auf der COVID-19-Pandemie beruht und warum Aussichten auf Beseitigung der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit bestehen.

Planung für die Zeit nach Corona bereits jetzt beginnen!

Das Ende des Aussetzungszeitraums (ob nun Ende September 2020 oder Ende März 2021) naht mit raschen Schritten. Unmittelbar nach dem Aussetzungszeitraum gelten die Insolvenzantragspflicht und die mit ihr verknüpften Haftungsrisiken wieder uneingeschränkt. Ohne fundierte und aussichtsreiche Planung droht die Insolvenz unmittelbar nach dem Aussetzungszeitraum. In dieser Planung ist bei vielen Unternehmen zu berücksichtigen, dass sie die gewährte Corona-Hilfe zurückzahlen müssen und somit mit erhöhten Zins- und Tilgungsleistungen belastet sind.

Unternehmen brauchen einen Plan, wie sie ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten bis zum Ende des Aussetzungszeitraums überwinden und auch danach bestehen können. Es gilt, sicherzustellen, dass zu diesem Zeitpunkt keine Insolvenzreife (mehr) vorliegt, um die Insolvenzantragstellung zu verhindern. Allerdings birgt ein Insolvenzverfahren auch Chancen zur Sanierung eines kriselnden Unternehmens. Der Aussetzungszeitraum sollte zur Evaluierung dieser Chancen und ggf. zur guten Vorbereitung eines geordneten Insolvenzverfahrens genutzt werden.

In unserer Blogserie zu „Coronavirus: Handlungsempfehlungen für Unternehmen″ zeigen wir anhand der aktuellen Situation unternehmensbezogene Stolpersteine auf, die in Krisenzeiten zu beachten sind. Bereits erschienen sind Beiträge zu Verhandlungen, Verjährungen und Verfristungen sowie Haftungsfragen bei Absagen von Messen- und Veranstaltungen, zum Datenschutz trotz Corona und zu  Möglichkeiten von Aktiengesellschaften zur Cash-Ersparnis sowie Vermögensübertragungen zu steuergünstigen Konditionen. In weiteren Beiträgen gehen wir ein auf die Erstellung eines Notfallplans, auf Vertriebsverträge und Tips Lieferanten in Krisenzeiten und auf Auswirkungen auf Lebensmittel- und Hygieneverordnungen. Im Anschluss haben wir uns mit der streitigen (gerichtliche) Auseinandersetzung befasst, sind auf kartellrechtliche Auswirkungen sowie die Bedeutung für den Kapitalmarkt eingegangen. Näher befasst haben wir uns auch mit „infizierten″ Vertragsverhandlungen, den Änderungen in Mittel- und Osteuropa sowie mit klinischen Studien und dem neuen EU-Leitfaden für Sponsoren uns Prüfärzte. Weiter geht es mit Pflichten zur Abgabe der Steuererklärung und eventuell steuerstrafrechtlichen Haftungsrisiken, dem Moratorium für Zahlungsverpflichtungen von Verbrauchern und Kleinstunternehmern, Unterstützungsmaßnahmen für Start-ups, das Kurzarbeitergeld, sowie den Erleichterungen für Stiftungen und Vereine und GmbH-Gesellschafterbeschlüsse. Es folgten weitere Beiträge zu Kooperationen im Gesundheitswesen und zu Sachspenden an Krankenhäuser, zum Marktzugang für persönliche Schutzausrüstung und Medizinprodukte, zur Beschlagnahmemöglichkeit von Schutzausrüstung durch den Staat und zu Auswirkungen auf laufende IT-Projekte


Aktuelle Informationen zu COVID-19 finden Sie in unserem Corona Center auf unserer Website. Und mit unserem Quick Check Wirtschaftsstabilisierungsfonds können Sie in kürzester Zeit herausfinden, ob Ihr Unternehmen für eine Stabilisierungsmaßnahme des WSF in Betracht kommen könnte. Wenn Sie Fragen zum Umgang mit der aktuellen Lage und zu den Auswirkungen für Ihr Unternehmen haben, sprechen Sie unser CMS Response Team jederzeit gerne an. 

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