27. März 2020
Corona Steuer Haftung
Coronavirus - Handlungsempfehlungen für Unternehmen Restrukturierung und Insolvenz Steuerrecht

Steuerliche Haftungsrisiken von Unternehmensleitern in Zeiten der COVID-19-Pandemie

Die Pflichten gegenüber dem Finanzamt bleiben bestehen – achten Sie auf deren Einhaltung!

Die COVID-19-Pandemie zeigt vielfältige Auswirkungen auf die Unternehmensführung. Eine davon ist der kurzfristige Umgang mit signifikanten Liquiditätseinbußen wegen eingebrochener Umsätze.

Der Gesetzgeber und die Behörden sind Willens, die Unternehmen mit verschiedenen Maßnahmen zu unterstützen, um auf diese Weise deren wirtschaftliche Situation zu verbessern und das Überleben möglichst zu sichern. Eine der wohl populärsten Neuerungen ist neben den steuerlichen Erleichterungen wie etwa einer Stundung von Steuerschulden sowie der Erstattung von Umsatzsteuer-Sondervorauszahlungen die unlängst vom Bundestag beschlossene Aussetzung der Insolvenzantragspflicht.

Allein das schützt nicht vor einer persönlichen Haftung von Geschäftsführern und Vorständen für die Steuerschulden des Unternehmens. Jene Personen haben in der aktuellen Krise umso mehr darauf zu achten, dass sie ihren steuerlichen Pflichten vollumfassend nachkommen, insbesondere bei derzeit gewährten Stundungen und etwaig erfolgten Steuererstattungen.

Ausgangspunkt der steuerlichen Haftung – § 69 Abgabenordnung (AO)

Gesetzliche Grundlage der steuerlichen Haftung des Organs für die Steuerschulden des Unternehmens ist regelmäßig § 69 AO i.V.m. § 34 Abs. 1 AO. Danach haften insbesondere Geschäftsführer und Vorstände, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen obliegenden Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund ausgezahlt werden.

Neben der Nichtzahlung von Steuern ist es also auch bereits für eine Verletzung steuerlicher Pflichten ausreichend, wenn Steuererklärungen bzw. Steuervoranmeldungen nicht fristgerecht oder unzutreffend abgegeben werden und infolge dessen ein Steuerbescheid nicht (rechtzeitig) vom Finanzamt erlassen werden kann.

Das Finanzamt kann einen steuerlichen Haftungsanspruch durch Haftungsbescheid geltend machen (§ 191 AO). Sie muss also nicht zunächst langwierig bei einem Gericht einen vollstreckbaren Titel erstreiten. Ein solcher Haftungsbescheid kann neben „Steuern″ (etwa Einkommen- oder Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer, Gewerbesteuer, Lohnsteuer) auch sog. steuerliche Nebenleistungen zum Gegenstand haben, wie z.B. Säumniszuschläge und Zinsen.

Grundsatz: Pflicht zur vollumfassenden und pünktlichen Steuerentrichtung auch in Zeiten der Corona-Pandemie

Neben der rechtzeitigen und inhaltlich zutreffenden Abgabe von Steuererklärungen sind Unternehmensleiter vor allem dazu verpflichtet, dass die vom Unternehmen geschuldeten Steuern aus den von ihnen verwalteten Vermögensmitteln ordnungsgemäß und damit in vollständiger Höhe an den Fiskus entrichtet werden. Eine Haftung kommt nicht erst dann in Betracht, wenn Steuern überhaupt nicht entrichtet werden, sondern bereits dann, wenn entsprechende Zahlungen nicht bis zur Fälligkeit geleistet werden. Wann dies der Fall ist, bestimmt sich nach der Art der jeweiligen Steuer und gilt zunächst unabhängig von der möglicherweise gebotenen Stellung eines Insolvenzantrags und der sog. „3 Wochen-Frist″.

Die Pflicht zur Steuerzahlung ist also nur soweit und solange ausgesetzt, wie das Finanzamt tatsächlich eine Stundung gewährt hat, ob wegen der COVID-19-Pandemie oder aus sonstigen Gründen. Dies sollte man sich stets schriftlich bestätigen lassen.

Allerdings: Haftungserleichterung nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung

In jeder Unternehmenskrise sind die liquiden Mittel knapp, sodass regelmäßig überlegt werden muss, wann welche Verbindlichkeit bedient wird und eine aktive Liquiditätssteuerung gefragt ist. Die gegenwärtige COVID-19-Pandemie verschärft diesen Zustand noch ganz erheblich, da in vielen Branchen die Nachfrage und damit laufende Umsätze abrupt eingebrochen sind. Zwar sind während der Aussetzung der Insolvenzantragsfrist auch die gesellschaftsrechtlichen Zahlungsverbote gelockert, auf die steuerliche Haftung hat die Haftungsprivilegierung des COVInsAG aber keine unmittelbare Auswirkung.

Eine Haftung nach § 69 AO kommt regelmäßig nur in Betracht, soweit entsprechende Steuerverbindlichkeiten mit den zur Verfügung stehenden Mitteln überhaupt hätten getilgt werden können. Die Geschäftsführung verletzt die ihr nach § 34 AO obliegenden steuerlichen Pflichten im Fall unzureichender finanzieller Mittel also jedenfalls dann, wenn sie den Fiskus schlechter behandelt als die übrigen Gläubiger (sog. Grundsatz der anteiligen Tilgung).

Soweit die Geschäftsleitung die Steuerverbindlichkeiten nach diesem Grundsatz zumindest anteilig tilgt, fehlt es an der erforderlichen Kausalität der Pflichtverletzung durch unterlassene Begleichung der Steuerverbindlichkeiten.

Achtung: Für Lohnsteuer gilt Grundsatz der anteiligen Tilgung nicht

Für die Lohnsteuer gilt der vorstehend skizzierte Grundsatz der gleichmäßigen anteiligen Tilgung allerdings nicht. Vielmehr muss die Geschäftsleitung die Lohnsteuerschulden der Gesellschaft vorrangig erfüllen, um eine Haftung nach § 69 AO zu vermeiden.

Eine Organhaftung besteht deshalb dann, wenn zwar die Nettolöhne an Arbeitnehmer ausgezahlt werden, die Lohnsteuer indes nicht an das Finanzamt abgeführt wird. Stehen hierfür keinerlei Finanzmittel zur Verfügung, ist das Organ in diesem Fall aus steuerlicher Sicht gehalten, die Nettolöhne zu kürzen, um zumindest die hierauf anfallende Lohnsteuer abzuführen. Hierzu kann es beispielsweise auch bei teilweise eingeführter Kurzarbeit kommen, soweit die Zahlungen an den Arbeitnehmer nicht vollständig lohnsteuerfrei sind. Bei Zöllen und Verbrauchsteuern können ebenfalls Besonderheiten gelten.

Bitte beachten Sie, dass die aktuellen Maßnahmen der Finanzverwaltung zur Steuerstundung, Herabsetzung von Vorauszahlungen usw. im Rahmen der COVID-19-Pandemie nicht für die Lohnsteuer gelten.

Oft unterschätzt: Mittelvorsorgepflicht in Zeiten einer wirtschaftlichen Krise

Neben der Verletzung von Steuerentrichtungspflichten kann eine Haftung auch daraus folgen, dass die Geschäftsleitung ihrer Pflicht zur ausreichenden Mittelvorsorge nicht nachgekommen ist. Damit wird der Anknüpfungspunkt für eine (potentielle) Pflichtverletzung zeitlich nach vorne verlagert. Das ist erfahrungsgemäß gerade bei Umsatzeinbrüchen ein häufiger Ansatzpunkt für die Finanzämter zur Begründung einer Haftung.

Die Pflicht zur Mittelvorsorge setzt der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit finanzschwacher Gesellschaften spürbar Grenzen. Denn die Organe sind grundsätzlich dazu verpflichtet, die zur Verfügung stehenden Mittel bereits vor der Fälligkeit der Steuerschuld – und damit noch vor der Pflicht zu deren Entrichtung – auf eine Art und Weise zu verwalten, dass eine Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuern gewährleistet ist.

Geschäftsführer und Vorstände sind gerade in Krisenzeiten gut damit beraten, sich bei jeder wirtschaftlichen Disposition die Frage zu stellen, ob die hieraus resultierenden Steuern zukünftig auch gezahlt werden können. Das gilt etwa für Einkommen-, Körperschaft-, Gewerbe-, Umsatz- und Grunderwerbsteuer genauso wie für Lohn- und Kapitalertragsteuer und andere Quellensteuern. Die entsprechenden Entscheidungsgrundlagen sollten mit dem Ziel einer ausreichenden Beweisvorsorge umfassend und sorgfältig dokumentiert werden.

Eine ausreichende Mittelvorsorge ist auch und vor allem bei aktuell wegen der COVID-19-Pandemie gewährten Steuerstundungen und etwaig erfolgten Steuererstattungen zu beachten. Denn sobald die Steuerstundungen auslaufen, sind die „wie gehabt″ Steuern zu bezahlen. Die Gewährung weiterer Steuerstundungen – aus anderen Gründen – kommt in aller Regel nicht in Betracht. Daher sollte der Unternehmensleiter bereits frühzeitig die entsprechende Liquidität einplanen, damit ihm dies nicht im Wege der Haftung vom Finanzamt zum Vorwurf gemacht werden kann.

Fazit: Einhaltung steuerlicher Vorschriften auch in Zeiten der Corona-Pandemie

Geschäftsführer und Vorstände sollten großes Augenmerk darauf legen, auch während der COVID-19-Pandemie ihre steuerlichen Pflichten vollumfänglich zu erfüllen. Andernfalls drohen persönliche Haftungsrisiken.

Die Praxis zeigt, dass die Steuerbehörden die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Geschäftsleitung durch Haftungsbescheide regelmäßig nutzen, insbesondere wenn eine Versicherungsdeckung besteht. Zwar steht es zu hoffen, dass in Anbetracht der derzeit außergewöhnlichen Situation mit guten Gründen eine persönliche Haftung im Diskurs mit dem Finanzamt abgewendet werden kann. Es bleibt aber ungeachtet dessen zu raten, bereits frühestmöglich und damit vor einer Inanspruchnahme durch das Finanzamt entsprechende Vorkehrungen im Unternehmen zu treffen.

In unserer Blogserie zu „Coronavirus: Handlungsempfehlungen für Unternehmen″ zeigen wir anhand der aktuellen Situation unternehmensbezogene Stolpersteine auf, die in Krisenzeiten zu beachten sind. Bereits erschienen sind Beiträge zu Verhandlungen, Verjährungen und Verfristungen sowie Haftungsfragen bei Absagen von Messen und Veranstaltungen, zum Datenschutz trotz Corona und zu Möglichkeiten von Aktiengesellschaften zur Cash-Ersparnis sowie Vermögensübertragungen zu steuergünstigen Konditionen. In weiteren Beiträgen gehen wir ein auf die Erstellung eines Notfallplans, auf Vertriebsverträge und Tipps für Lieferanten in Krisenzeiten und auf Auswirkungen auf Lebensmittel- und Hygieneverordnungen. Im Anschluss haben wir uns mit der streitigen (gerichtlichen) Auseinandersetzung befasst, sind auf kartellrechtliche Auswirkungen sowie die Bedeutung für den Kapitalmarkt eingegangen. Näher befasst haben wir uns auch mit „infizierten″ Vertragsverhandlungen, den Änderungen in Mittel- und Osteuropa sowie mit klinischen Studien und dem neuen EU-Leitfaden für Sponsoren uns Prüfärzte. Weiter geht es mit Pflichten zur Abgabe der Steuererklärung und eventuell steuerstrafrechtlichen Haftungsrisiken, dem Moratorium für Zahlungsverpflichtungen von Verbrauchern und KleinstunternehmernUnterstützungsmaßnahmen für Start-ups, das Kurzarbeitergeld, sowie den Erleichterungen für Stiftungen und Vereine und GmbH-Gesellschafterbeschlüssen. Es folgten weitere Beiträge zu Kooperationen im Gesundheitswesen und zu Sachspenden an Krankenhäuser, zum Marktzugang für persönliche Schutzausrüstung und Medizinprodukte, zur Beschlagnahmemöglichkeit von Schutzausrüstung durch den Staat und zu Auswirkungen auf laufende IT-Projekte. Zuletzt haben wir auf die Haftung bei betrieblichen Corona-Schutzimpfungsprogrammen hingewiesen.


Aktuelle Informationen zu COVID-19 finden Sie in unserem Corona Center auf unserer Website. Wenn Sie Fragen zum Umgang mit der aktuellen Lage und zu den Auswirkungen für Ihr Unternehmen haben, sprechen Sie unser CMS Response Team jederzeit gerne an.

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