Längere werktägliche Arbeitszeiten, weniger Ruhezeiten und Sonntagsarbeit während der Pandemie mit der COVID-19-Arbeitszeitverordnung – für wen und wie, klären wir hier.
Während der Corona-Pandemie müssen viele Betriebe Kurzarbeit anmelden und Inhaber und Mitarbeiter sind zum Nichtstun verdammt – zumindest bei Kurzarbeit Null. Für andere reichen 24 Stunden am Tag nicht, um die viele Arbeit zu bewältigen, z.B. im Lebensmitteleinzelhandel und der Logistik.
Die Politik reagiert mit Änderungen im Arbeitszeitgesetz und dem Erlass einer Rechtsverordnung.
Änderungen im Arbeitszeitgesetz durch das „Sozialschutz-Paket″
Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) sieht eine regelmäßige Wochenhöchstarbeitszeit von 48 Stunden vor, d.h. eine tägliche Arbeitszeit von acht Stunden. Es regelt ein grundsätzliches Verbot der Sonntags- und der Nachtarbeit sowie die Pflicht des Arbeitgebers, den Mitarbeitern Ruhepausen zu gewähren. Ausnahmen von diesen Regelungen sieht das ArbZG insbesondere für bestimmte Berufsgruppen vor. Doch auch diese genügen in einigen Branchen im Augenblick nicht, um der infolge der Pandemie entstandenen Arbeitsbelastung Herr zu werden.
Kritisch ist dies aus Sicht des Gesetzgebers in den Bereichen öffentliche Sicherheit und Ordnung, im Gesundheitswesen und der pflegerischen Versorgung, in der Daseinsvorsorge und bei Betrieben, die die Versorgung der Bevölkerung mit existentiellen Gütern sicherstellen. Für diese Branchen wurde daher im sogenannten „Sozialschutz-Paket“ vom 27. März 2020 geregelt, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit gemäß dem neu eingeführten § 14 Abs. 4 ArbZG Rechtsverordnungen erlassen darf, die Abweichungen von den normalen Standards des ArbZG zulassen. Für alle anderen Branchen bleibt es bei der Geltung des heutigen ArbZG.
Neue COVID-19-Arbeitszeitverordnung erlaubt Abweichungen vom „normalen″ Arbeitsschutz
Auf Grundlage dieser Regelung ist am 7. April 2020 die COVID-19-Arbeitszeitverordnung (COVID-19-ArbZV) in Kraft getreten. Danach darf – befristet bis zum 30. Juni 2020 –
- die tägliche Arbeitszeit auf bis zu zwölf Stunden verlängert werden, wenn dies nicht durch „vorausschauende organisatorische Maßnahmen″ inklusive Neueinstellungen abgewendet werden kann;
- die tägliche Ruhezeit um bis zu zwei Stunden verkürzt werden, wobei eine Mindestruhezeit von neun Stunden einzuhalten ist;
- auch an Sonn- und Feiertagen gearbeitet werden, sofern die Arbeiten nicht an Werktagen vorgenommen werden können,
wenn dies zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, des Gesundheitswesens und der pflegerischen Versorgung, der Daseinsvorsorge oder zur Versorgung der Bevölkerung mit existenziellen Gütern notwendig ist. Die Einschätzung, ob eine Maßnahme zur Aufrechterhaltung dessen erforderlich ist, bedarf keiner behördlichen Genehmigung und obliegt somit offenbar den Unternehmen.
Alle diese Maßnahmen sind zudem nur zulässig, wenn sie im Nachhinein wieder kompensiert werden. Konkret bedeutet dies, dass
- innerhalb von sechs Monaten ein Ausgleich der werktäglichen Arbeitszeit auf acht Stunden (48 Stunden wöchentlich) erfolgen muss;
- jede Verkürzung der Ruhezeit innerhalb von vier Wochen – nach Möglichkeit durch freie Tage – auszugleichen ist;
- für Sonntagsbeschäftigung innerhalb von acht Wochen Ersatzruhetage gewährt werden müssen, und zwar bis spätestens zum 31. Juli 2020.
Diese Ausgleichsverpflichtungen sollte der Arbeitgeber bei der Einteilung seiner Mitarbeiter beachten und vorausschauend planen.
Geltung der COVID-19-Arbeitszeitverordnung nur für bestimmte Arbeitnehmergruppen
In der Rechtsverordnung wird festgelegt, für welche Tätigkeiten die obigen Ausnahmen gelten (vgl. § 1 Abs. 2 COVID-19-ArbZV). Diese ergeben sich im Wesentlichen aus den in § 14 Abs. 4 ArbZG genannten vier Fallgruppen (öffentliche Sicherheit und Ordnung, Gesundheitswesen, Daseinsvorsorge, Betriebe, die die Versorgung der Bevölkerung mit existentiellen Gütern sicherstellen).
Von besonderem Interesse ist die Aufschlüsselung der „Betriebe, die die Versorgung der Bevölkerung mit existentiellen Gütern sicherstellen„. Dies umfasst Tätigkeiten beim Herstellen, Verpacken einschließlich Abfüllen, Kommissionieren, Liefern an Unternehmer, Be- und Entladen und Einräumen von
- Waren des täglichen Bedarfs,
- Arzneimitteln, Medizinprodukten und weiteren apothekenüblichen Waren sowie Hilfsmitteln,
- Produkten, die zur Eingrenzung, Bekämpfung und Bewältigung der COVID-19-Epidemie eingesetzt werden,
- Stoffen, Materialien, Behältnissen und Verpackungsmaterialien, die zur Herstellung und zum Transport der in den vorherigen Punkten genannten Waren, Mittel und Produkte erforderlich sind.
COVID-19-Arbeitszeitverordnung mit heißer Nadel gestrickt
Es bleiben Fragen offen, beispielsweise die nach den „vorausschauenden organisatorische Maßnahmen″ inklusive Neueinstellungen, die Zulässigkeitsvoraussetzung für die Erhöhung der werktäglichen Arbeitszeit sein soll.
Generell gilt: Die COVID-19-ArbZV enthält keinerlei Bußgeld- oder Strafvorschriften. Auch §§ 22, 23 ArbZGwurden im „Sozialschutz-Paket“ nicht erweitert. Verstöße gegen die COVID-19-ArbZV sind daher nicht bußgeld- oder strafbewehrt. Gemäß § 5 COVID-19-ArbZV können jedoch die Aufsichtsbehörden feststellen, ob eine Beschäftigung nach der COVID-19-ArbZV zulässig ist.
Daher ist bei einer geplanten Erhöhung der werktäglichen Arbeitszeit zu empfehlen, Stellen auszuschreiben und den Ausschreibungsprozess gut zu dokumentieren. Auch sollte geprüft werden, ob eine Abhilfe durch eine Arbeitnehmerüberlassung erfolgen kann. Jedoch kann sich das Ausschreibungsverfahren bzw. die Abstimmung mit einem Personaldienstleister durchaus über mehrere Wochen hinziehen. Während dieses Prozesses dürfte unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der COVID-19-ArbZV eine werktägliche Arbeitszeiterhöhung zulässig sein.
In unserer Blogreihe „Coronavirus: Schutzschirm für die deutsche Wirtschaft″ informieren wir Sie über die getroffenen Hilfsmaßnahmen, deren Wirksamkeit und die sonst zu berücksichtigenden unternehmerischen „Stolpersteine″, die das Coronavirus mit sich gebracht hat. Bisher erfolgt sind Beiträge zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und wie dies bei M&A-Transaktionen hilft, zum CorInsAG, zum Kurzarbeitergeld und der Kurzarbeitergeldverordnung sowie den Auswirkungen auf Kreditverträge. Es folgten Beiträge zu den steuerlichen Auswirkungen, zur EU-Beihilfemöglichkeiten, zum Schutz vor Kündigungen von Wohn- und Geschäftsräumen und Mietverhältnissen allgemein sowie zum Wirtschaftsstabilisierungsfond und damit verbundenen, offenen Fragen zum WSF. Weiter beschäftigten wir uns mit dem Erlass des BMI zu bauvertraglichen Fragen, mit Finanzhilfen für Unternehmen, den Fördermöglichkeiten und mit den steuerliche Maßnahmen, mit Cash-Pooling und dem Gesetz zum Darlehensnehmerschutz sowie den alternativen Wegen zur Abhaltung von Gesellschafterversammlungen und Aufsichtsratssitzungen.
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