12. Februar 2016
Amtsgericht Randolfzell
Kanzleialltag

Deutschlands Arbeitsgerichte (20) – Radolfzell

Wir zeigen in unserer Serie Deutschlands Arbeitsgerichte – die Gebäude, ihre Architektur und die Umgebung. Heute das Arbeitsgericht Radolfzell.

Grüße vom Bodensee?! Heute stellen wir das Arbeitsgericht in Radolfzell am Bodensee vor.

Nach Radolfzell am Bodensee fuhr ich mit der Schwarzwaldbahn durch verschneite Modellbahn-Täler ohne Mobilfunknetz. Radolfzell, im Jahr 826 gegründet, liegt am nördlichen Ufer des Bodensees am Untersee und hat über 30.000 Einwohner.

Der Bahnhof befindet sich direkt am Seeufer – ein kurzer Schritt und der Besucher gelangt von Bahnsteig 6 direkt zur Uferpromenade.

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Das Arbeitsgericht liegt auf der anderen Seite des Bahnhofs, sodass man lediglich die Uferstraße überqueren muss.

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Das Arbeitsgericht ist eigentlich nicht das Arbeitsgericht, sondern das Amtsgerichtsgebäude, in dem das Arbeitsgericht Lörrach seine Kammern Radolfzell im dritten Stock untergebracht hat.

Das Gebäude nennt sich Ritterschaftshaus und war Tagungsort sowie Verwaltungsmittelpunkt der Hegau-Ritterschaft „Zum St. Georgenschild″. Diese Ritterschaft war ein Kanton der freien Reichsritterschaft. Die Reichsritterschaft gliederte sich in Ritterkreise, die sich wiederum in Kantonen zusammensetzte.

Das Kanton Hegau-Allgäu-Bodensee gehörte zum schwäbischen Ritterkreis, der im 15. Jahrhundert entstanden ist. Dieser Ritterkanton hatte eines seiner Quartiere im Ritterschaftshaus, das ihm vom Junker Hans von Schellenberg vermacht wurde. Mit Auflösung der Reichsritterschaft am Ende des Heiligen Römischen Reiches wurde das Gebäude 1806 Kaserne, ab 1810 Bezirksamt. Die Ritterhistorie merkt man dem massiven Gebäude an. Es gab eine Kapelle, ein Archiv, einen Sitzungssaal sowie Stuben für die Advokaten und den Syndicus.

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Das Gebäude im heute einheitlichen Renaissancestil steht auf einem L-förmigen Grundriss, dessen Stirnseite an der zum Bodenseeufer abfallenden Seestraße liegt. Rechter Hand ein großes Tor, das zum Hinterhof führt. An der Gebäudemitte findet sich eine doppelläufige Steintreppe, die zum Haupteingang führt.

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Im inneren Winkel des L, das durch einen kleinen Anbau ergänzt wird, befindet sich der große Treppenhausturm. Er hat einen viereckigen Grundriss, der im letzten Geschoss in ein Achteck übergeht und mit einem Blechdach mit goldener Windfahne gekrönt ist.

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Das Gebäude besteht aus drei Geschossen über dem Keller und wird mit einem Dach aus glatten Ziegeln bedeckt. Zur Stadtseite befindet sich ein Zinnengiebel, zur Seeseite ein Walmdach mit drei Dachgauben, das den Giebel in der Barockzeit 1760/1762 ersetzte. Die seeseitige Hausecke ist durch eine steinerne Fundamentsäule verstärkt.

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Die Fassade ist verputzt und weiß geschlämmt. Sie war allerdings bis 1953 historisierend bemalt. Ein am Gebäude angebrachtes Schild gibt Auskunft über das Gebäude und zeigt auch ein entsprechendes Foto. Daneben – ganz modern – ein QR-Code, der zu Informationen führt.

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Die Fenster- und die Türumrandungen sind fein ausgearbeitet. Die Fassade besteht an ihrer Hauptseite fast ausschließlich aus zweiteiligen Fensternischen – nur rechts neben dem Eingang gibt es ein dreiteiliges Fenster.

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Auch das zweifügige Hauptportal ist steinern umrahmt. Rechts davon die Gerichtsschilder, zur linken die beiden Briefkästen.

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Im Hinblick auf die Fastnachtszeit wurden am Eingang geänderte Öffnungszeiten angegeben. Der schmutzige Donnerstag, bei uns in Köln Weiberfastnacht, hat nichts mit Schmutz zu tun sondern mit „fettig“. Er folgt aus dem Brauch, dass donnerstags geschlachtet und gebacken wurde.

Da nach dem Aschermittwoch die Fastenzeit beginnt, war der schmutzige Donnerstag der letzte Schlachttag – in den folgenden Tagen wurde geschlemmt.

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Man betritt eine große Halle im Gebäude, die mit Steinboden gefliest und einer Kassettendecke gekrönt wird. Eine schlichte weiße Bank dient als Sitzgelegenheit für Besucher.

Geradeaus geht es zum Treppenhaus und im zweiten Stock findet sich der Eingang zum Arbeitsgericht. Eine große, weiß lackierte, zweiflügelige Tür mit großen schmiedeeisernen Scharnieren öffnet den Weg zur Arbeitsgerichtsbarkeit.

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Hinter der Tür liegt der mit einer dezenten Stuckdecke und Parkettboden im Fischgrätmuster ausgestattete Vorraum. Die aufgestellten Sitzgelegenheiten sind dezent elegant und fallen kaum auf. Die Deckenbeleuchtung durch Fluter an den Wänden ist überaus gelungen. Die beachtenswerte Restaurierung verleiht dem Gebäude eine gewisse Noblesse.

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Auf dem Flur: Schränke und Kalender.

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Wer sich ein wenig aus dem Fenster lehnt, sieht wiederum auf den Bodensee.

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Vom Vorraum geht es zum einzigen Sitzungssaal und zu den Richterzimmern bzw. den Geschäftsstellen. Leider müssen wir aus Bildern aus dem Sitzungssaal – in dem das Gericht noch zu Werke ging – verzichten.

Leider ist der Sitzungssaal auch nicht so schön wie der Warteraum. Er hat zwar auch eine Stuckdecke, die Beleuchtung entspricht aber mehr einem Büro als einer Kunstgalerie. Dies liegt vielleicht auch an dem dunkelgrauen Teppichboden, den zu zwei Halbrunden aufgestellten Bürotischen für Gericht und Parteien oder den dunkelrot bezogenen Stühlen.

Immerhin hat man dem Sitzungssaal Teile der Bibliothek, nämlich eine Sammlung des Bundesgesetzblattes und der NJW, als schmuckvolle Ausstattung gegönnt. Ansonsten befindet sich zwischen den beiden Fenstern an der Stirnseite hinter dem Richterpult eine schlichte Uhr und daneben eine Grünpflanze. Beim Verlassen des Gebäudes sehe ich das Schild am Eingang, das der Öffentlichkeit der Sitzung (§ 52 ArbGG) dient.

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Das Arbeitsgericht in Radolfzell ist stilvoll untergebracht – und welches Arbeitsgericht kann schon von sich behaupten, auf einer Postkarte abgebildet zu sein!

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Die Serie widmet sich Deutschlands Arbeitsgerichten – den Gebäuden, ihrer Architektur und der Umgebung

Hier geht es zum Arbeitsgericht Wesel, die vorhergehenden Teile finden Sie hier: Offenbach am Main, Bochum, Bremen, Detmold, Hamburg, Koblenz, KarlsruheDarmstadt, Duisburg, Ulm, Stuttgart, Berlin, Ravensburg, München, Saarbrücken, Köln, Siegburg, Frankfurt.

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