Wir zeigen in unserer Serie Deutschlands Arbeitsgerichte – die Gebäude, ihre Architektur und die Umgebung. Heute das ArbG und LAG Niedersachsen in Hannover.
Das Arbeitsgericht Hannover und das Landesarbeitsgericht Niedersachsen gehören zu den Gerichten, die nur einen Steinwurf vom Bahnhof entfernt sind (wie Radolfzell, Offenbach, Duisburg, Siegburg oder Frankfurt am Main). Beide Arbeitsgerichte sind mit dem Sozialgericht, dem Verwaltungsgericht und dem Niedersächsischen Finanzgericht in einem Fachgerichtszentrum untergebracht.
Zum Arbeitsgericht verlässt man den Hauptbahnhof allerdings nicht zum Ernst-August-Platz mit seinem Reiterstandbild. Stattdessen geht es auf die andere Seite: Richtung Oststadt. Auf der Bahnhofsrückseite tun sich Betonflächen, Bankenhochhäuser und Fernsehturm auf.
Rechter Hand geht es an der Rundestraße entlang, bevor zunächst das nun mehr als 100 Jahre alte „Neue Justizgebäude″ Am Volgersweg 1 auftaucht. Dort ist das Amtsgericht untergebracht. Erst dahinter erhebt sich an der Straßenecke zur Leonhardtstraße das Fachgerichtszentrum. Es ist ein – auf den ersten Blick – durch seine wie Schießscharten wirkenden Fenster festungsartiger Quader. Nur mit dem richtigen Abstand und aus der richtigen Perspektive wird das zurückgesetzte obere Staffelgeschoss sichtbar.
Der Neubau wurde auf dem früheren Behelfsparkplatz des Amtsgerichts, einer Schotterfläche, errichtet und erst zur zweiten Jahreshälfte 2015 bezogen. Der Grundriss des Gebäudes entspricht einer Acht, deren untere rechte Ecke von einem Fünfzigerjahre-Gebäude mit – in Bahnhofsnähe- nicht untypischer Nutzung durch eine Spielhalle ausgeschnitten ist. Der Eigentümer dieses Gebäudes wollte seine Immobilie nicht verkaufen und so blieb diese Ecke wie sie war.
Die Außenfassade des Gerichtszentrums ist beigefarben verklinkert, die leicht zurückversetzten Fenster werden von seitlichen Blenden betont. Die Fassade des Klinkers zitiere die Steinfarbe der Risaliten und Pilaster des benachbarten Amtsgerichts und stelle, so heißt es vom Architekten, so einen Bezug zum Amtsgerichtsgebäude her. Die Front zur Bahnhofsseite beherbergt die Einfahrt zu einer Tiefgarage, die nicht zum Gebäude gehört, und zum ersten Innenhof, der sich im „unteren Teil der Acht″ befindet. Die Außenwände zum Innenhof sind – anders als die Außenfassade – mit hellem Putz versehen.
In der Leonhardtstraße liegt neben einer kleinen Rasenfläche der zurückversetzte Eingang, rechts davon die Beschilderung des Fachgerichtszentrums und der einzelnen Gerichte, neben einem niedersächsischen Wappen mit dem weißen Sachsenross auf rotem Grund. Auf der anderen Seite des Eingangs befinden sich die Nachtbriefkästen und an deren Beschriftung fällt auf, dass das Gebäude deutlich barrierefreier sein will, als andere Gebäude: schon die Briefkästen sind in Blindenschrift beschriftet.
Wer um das gesamte Gebäude herumläuft, sieht zunächst die Glasbrücke, die einen Übergang zum Amtsgericht ermöglicht, aber nur für Bedienstete nutzbar ist.
An der Ecke zur Hinüberstraße, die wirklich so heißt, wirkt das Gebäude durch die hier entstehende Symmetrie der Fassaden und Fenster eher abweisend. Das mag auch daran liegen, dass zwischen Wand und Bürgersteig nur eine graue Schotterfläche angelegt ist, die vornehmlich Zigarettenkippen anzieht. Aufgelockert wirkt die Fassadenansicht erst wieder in der Ferdinandstraße, wenn das Gerichtsgebäude auf seine Nachbarn mit besagter Spielhalle trifft.
Im Eingangsbereich des Gerichtsgebäudes befindet sich linker Hand eine große Anzeigetafel aus fünf Bildschirmen, die die jeweiligen Verhandlungen der einzelnen Fachgerichte anzeigen. In der Mitte befindet sich ein Lageplan, in dem Flure, Säle und Zimmer sowie Sanitärräume eingezeichnet sind. Rechts befindet sich ein Tresen, an dem Justizbedienstete bei Fragen behilflich sind.
Das Arbeitsgericht tagt üblicherweise in den Sitzungssälen 5-10. Verhandlungen des Landesarbeitsgerichts finden in den Sälen 11-14 statt. Sie werden über ein Sitzungssaal-Management verteilt. Die Sitzungssäle befinden sich im Erdgeschoss und sind leicht zu finden. Hierzu folgt der Besucher einfach den Beschriftungen auf dem Boden, sogenannten taktilen Leitstreifen, die sich durch das gesamte Gebäude ziehen. Seltsam mutet es an, wenn sie mitten im Flur einen „Haken schlagen″: Folgen einer Feuerschutztür.
Die Türschilder sind alle mit Blindenschrift versehen. Das Gericht verfügt zudem über Einrichtungen zum „taktilen Hören″. Hierfür wurden Schleifen im Boden verlegt, über die die Lautsprecher gleich auf entsprechend eingestellte Hörgeräte übertragen werden. Aufenthalts- und Wartezonen sind durch mittelblau abgesetzte Wände mit heller Bestuhlung gekennzeichnet. Sie befinden sich an vielen Stellen im Gebäude.
Überdies gibt es mehrere vollausgestattete Anwaltszimmer.
Fenster auf dem Flur und in den innen liegenden Sälen geben den Blick in den zweiten Innenhof, im „oberen Teil der Acht″, frei. Dieser Innenhof ist begrünt und beherbergt einen kleinen Raucherpavillon. Die helle Fassade wirkt hier fast palastartig.
Die Sitzungssäle verfügen statt des Betonbodens der Flure über robusten Parkettboden in hellem Ton. Auch hier befindet sich die Besucherbestuhlung mit Sitzfläche aus hellem Holz. In den Sitzungssälen sind sie mit Polstern versehen.
Die Richtertische sind aus grau lackiertem Holz und – teilweise – durch Türen vom übrigen Saal abgetrennt. Aber auch die Bestuhlung für die Richter oder die Parteien ist unterschiedlich.
Wie es sich für einen Neubau gehört, ist er für weitere Elektronikgadgets vorbereitet, so auch schon für Beamer, die unter der Decke angebracht werden können – was bei meinem letzten Besuch, zugegebenermaßen Mitte des vorigen Jahres, noch nicht der Fall war. Über eine eigene Kantine verfügt das Gericht zwar nicht, wohl aber über eine eigens beschriftete Nische für den Getränkeautomat.
Das Gebäude, so schlicht es sein mag, erfüllt seinen Zweck. Der Besucher lernt das Gericht als offenen und hellen Geschäftsbetrieb kennen und das Gebäude zeigt, wie sich Barrierefreiheit in überlegte Architektur von vornherein und ohne besonderes Aufheben integrieren lässt. Zurecht ist das Gebäude hierfür ausgezeichnet worden.
Die Serie widmet sich Deutschlands Arbeitsgerichten – den Gebäuden, ihrer Architektur und der Umgebung
Hier geht es zum Arbeitsgericht Radolfzell, die vorhergehenden Teile finden Sie hier: Wesel, Offenbach am Main, Bochum, Bremen, Detmold, Hamburg, Koblenz, Karlsruhe, Darmstadt, Duisburg, Ulm, Stuttgart, Berlin, Ravensburg, München, Saarbrücken, Köln, Siegburg, Frankfurt.