8. März 2019
ArbG Aachen
Arbeitsrecht

Deutschlands Arbeitsgerichte (23) – Aachen

Wir zeigen in unserer Serie Deutschlands Arbeitsgerichte – die Gebäude, ihre Architektur und die Umgebung. Endlich zeigen wir Ihnen das ArbG Aachen.

Gute Architektur färbt auf ihre Umgebung ab, heißt es. Am Adalbertsteinweg, an dem das Aachener Justizzentrum aus Arbeits-Amts- und LandgerichtSozialgerichtVerwaltungsgericht sowie der Staatsanwaltschaft liegt, kann man dies leider nicht so wirklich ablesen. Hier reihen sich in tristen Häusern 1-Euro-Läden und Handyshops aneinander. Dabei besteht das Justizzentrum aus einer solchen Ansammlung architektonisch anspruchsvoller Bauten, dass die Entscheidung schwerfällt, mit welchem Bauteil eine Beschreibung beginnen soll…

Seit Jahren schwebte mir diese Einleitung des Beitrags über das Arbeitsgericht Aachen in dieser Reihe vor – und gleichzeitig hat mich der Umfang der zu beschreibenden Bauten davon abgehalten. Eine streng dem Gang des Besuchers folgende Beschreibung hätte zu vieles ausgelassen – ihr konnte ich ebenso wenig abgewinnen, wie einer chronologischen Beschreibung, die sich den Gebäudeteilen nach ihrer Entstehungszeit nähert. Ich will es mit einer Mischung versuchen:

Die Historie des Justizzentrums Aachen

In einer Nebenstraße des Adalbertsteinwegs, der Kongressstraße, wurde im März 1888 das neue Gebäude des Amts- und Landgerichts eingeweiht. Schnell zu klein, wurde es nach Verzögerung durch den Ersten Weltkrieg und die Ruhrbesetzung 1929 um ein weiteres Gebäude am Adalbertsteinweg erweitert.

Gleich nebenan, hinter einem repräsentativen Eingangsblock am Adalbertsteinweg 92, befand sich das städtische Gefängnis mit Zellenblock und Verwaltung, entworfen vom Architekten Robert Ferdinand Cremer, von dem auch das Hauptgebäude des Polytechnikums Aachens, der heutigen RWTH-Aachen stammt. In den 1990er Jahren war das Gefängnis in die Jahre gekommen und wurde schließlich im Jahr 2004 in einen Neubau verlegt. Nach seinem Abriss war Platz für den Neubau eines Justizzentrums, dessen Saal- und angrenzende Verwaltungstrakte sich auf dem Baugrund des früheren Gefängnisses befinden und im Jahr 2008 eröffnet wurden.

Das Parkhaus

Wer sich dem Justizzentrum von der Autobahn aus nähert, stößt am Adalbertsteinweg zunächst auf einen riesigen Block mit der Anmutung eines Hochbunkers – das Parkhaus des Gerichtszentrums.

Das Gebäude, vielmehr dessen Außenhaut, hat der Künstler Rémy Zaugg gestaltet. Wer sich die Fassade aus roten Betonfertigteilen, die zur Belüftung eine Art Flechtstruktur bilden, anschaut, sieht in den Fassadenelementen eingelassene Wörter mit je acht Buchstaben wie Marzipanlauwarm oder Schnabel. Interpretationen verbieten sich eigentlich, weil Rémy Zaugg erklärte, es handele sich um reine Zufallswörter ohne System und Hintergedanken. Nun ja, sie sind jedenfalls systematisch verteilt: Adjektive und Verben auf der Stirnseite, Substantive auf der Längsseite.

Die Anreise

Mir ist es noch nie gelungen, in diesem Parkhaus einen Parkplatz zu ergattern, auch wenn es – bei insgesamt 400 Parkplätzen – im Erdgeschoss Besucherparkplätze geben soll. Die oberen Geschosse dagegen sind ausschließlich für Justizbedienstete reserviert. Ich weiche in das weiter westlich Richtung Innenstadt gelegene Parkhaus eines Supermarktes aus. Von dort führt der Weg zum Gericht an besagten Läden vorbei und man passiert den früheren und heute verschlossenen Eingang des Amts- und Landgerichts mit seiner schönen, doppelflügeligen Tür hinter einer Freitreppe. Der Schriftzug ist zu schön, um ihn nicht zu zeigen.

Ein paar Schritte weiter geht es durch das ehemalige Eingangsgebäude der Justizvollzugsanstalt. Ein Durchgang mit neugotischem Kreuzrippengewölbe führt zum Eingangshof des Justizzentrums.

Der Eingangshof

Hinter dem Durchgangsgebäude befindet sich der mit Steinplatten belegte Innenhof. Hier empfangen den Besucher klare Linien: Die Flechtstruktur der Parkhausfassade, der zentrale Saalbau mit seinen strukturierten Fensterbändern und der Boden mit seiner Umrandung aus großen quadratischen Betonplatten um eine rechteckige „Seenlandschaft“ aus kleinere Betonplatten, die so verlegt wurden, dass in den Fugen Gras emporwachsen kann. Wie ein Kunstwerk ragt in der linken Hälfte ein großer Baum empor.

Vom Innenhof führen eine Treppe und eine Rampe zum Eingang in den Saaltrakt hinauf.

Die Altbauten

Wer die Eingangsschleuse passiert, betritt einen Vorflur, in dem sich eine Informationstheke mit Justizpersonal und Lagepläne befinden – farbig an der Wand, als Kupferstich in der Raummitte.

Das ist an dieser Stelle auch geboten, weil man hier – je nach Ziel – zum Saaltrakt geradeaus, zu den Sälen in den Altbauten (Haus D) nach rechts in historische Flure abbiegen muss. Wechseln wir in eine historische Begehung der Gebäude:

Die Epochen der Altbauten lassen sich auch klar am Äußeren und im Inneren ablesen, auch wenn sie von 2008 bis 2011 saniert und modernisiert wurden.

Der älteste Gebäudeteil im neugotischen Stil an der Kongressstraße 11 stammt aus den Jahren 1883 bis 1888 nach einem Entwurf des Architekten und preußischen Baubeamten Karl Friedrich Endell. Das Gebäude wird von seinem zentralen Hauptbau, dessen von Natursteinen eingefasste Backsteinfassade mit den drei Rundbögen hinter einer imposanten Treppe aufragt, und den hohen Fenstern geprägt. Rechts und links schließen sich Mittelbauten an. Sie sind von Abschlussflügeln eingefasst, deren Giebel den Mittelbau nachbilden.

Innen gibt es neugotische Kreuzgewölbe und -bögen, ein herrliches Treppenhaus und kleinteilige Bodenfliesen.

 

Der Erweiterungsbau aus dem Jahr 1929 ist in seiner Grundform und Fassadengestaltung schlichter aber nicht weniger staatstragend. Ein Mitteltrakt wird zur Straßenseite von zwei Seitenflügeln flankiert. Die Fassade aus Backstein und Muschelkalkstein folgt Aachener Bautradition. Die Pilasterkapitelle und der Rahmen des Hauptportals mit den Tierkreiszeichen stammen vom Künstler und Bildhauer Wolfgang Wallner. Das große schmiedeeiserne Portalgitter stammt – wie die Treppengeländer im Innern – vom Kunstschmied Carl Wyland aus Köln.

 

Was von der Straße noch wuchtig und trutzig wirkt, löst sich im Innenhof in eine von waagerechten und senkrechten Fensterbändern gefasste Klinkerfassade auf, die auch in Hamburg stehen könnte.

Innen gibt es mit Säulen, schmiedeeisernen Gitter und Hallen ausgestattete Räumlichkeiten, die jedem Justizfilm eine angemessene Kulisse bieten würden.

Der zentrale Saalbau des ArbG Aachen

Zum Arbeitsgericht geht es zurück zum Neubau. Er wurde von Gesine Weinmiller entworfen, aus deren Hand auch der zuvor entstandene Bau des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt stammt.

Der Neubau besteht aus einem zentralen Saaltrakt (Haus A) und angrenzenden Verwaltungsgebäuden und wurde zwischen September 2004 und Dezember 2007 errichtet. Der Neubau kam – man mag es im Jahr 2019 nicht glauben – ohne Kostensteigerung aus. Der neue Saaltrakt bildet das Hauptgebäude und „Zentrum“ des Justizzentrums. Seine Fassade mit hellen Betonfertigteilen aus glatt poliertem Weißbeton mit Marmorzuschlagsstoffen wird von den streng symmetrischen Fenstern durchbrochen.

Inmitten des Saaltrakts liegt die große Halle. Sie ist wirklich groß – so wie man es in Verwaltungsgebäuden des 18. und 19. und frühen 20. Jahrhunderts kennt. Die sehr zurückhaltende Rechteckstruktur aus mit Holz verkleideten und zur Halle hin offenen Rundgängen hat etwas Abstraktes, wirkt aber keineswegs seelenlos.

Sie wird gekrönt von einer Kassettendecke mit Milchglasscheiben, durch die von oben Licht einströmt.

Ich habe mich auf das Dach führen lassen und die aufwändige Überdachung dieser Decke bewundert. Innerhalb dieser an ein Gewächshaus erinnernden Konstruktion finden sich auch Leuchten, die an trüben Tagen und abends für ausreichend „Tageslicht“ in der Halle sorgen. Selbstverständlich sind die Flachdächer des Justizzentrums begrünt.

Am Kopf der Halle befinden sich die Aufzüge, an ihrem Ende ein Treppenhaus. Als Kontrast zum Holz der Wandverkleidung, den weißgestrichenen Wänden der Flure und dem hellen geschliffenen und polierten Boden mit Verkieselung sind die Wände der Aufzüge und des Treppenhauses in einem dunklen Grau gehalten. Zum Kontrast sind im Treppenhaus hölzerne Geländer in die Wand eingelassen. Die Beleuchtung dezent zurückgesetzt.

Das Grau des Treppenhauses greift damit eine Farbe auf, die sich aus dem alle Etagen übergreifenden Wandbild der Künstlerin Veronika Kellndorfer ergibt. Wer das Gebäude des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt kennt, der kennt auch die Arbeiten der Künstlerin. In Aachen zeigt das Wandbild – für ein Gericht eher ungewöhnlich – eine Innenansicht des Case Study House Nr. 8 von Ray Eames im Pacific-Palisades-Viertel von Los Angeles unweit der Pazifik-Küste. Die Entscheidung für das Motiv bezieht sich auf Architektur und Funktionalität, so die Künstlerin. Die Vorlage für dieses Wandbild war, wie mir Veronika Kellndorfer mitteilte, ein Farb-Dia der Größe 4×5 Inch. Dessen Farbe wurde im Siebdruck reduziert, allerdings nicht auf Schwarz/Weiß, sondern auf einen Elfenbeinton wie er auch in den Vorhängen enthalten ist. Der Siebdruck wurde in das Glas gesintert, also eingebrannt.

Die Verhandlungssäle

Die Halle ist umgeben von den Verhandlungssälen, insgesamt 30 Säle. Im Zentralbau werden die Strafverfahren von Amts- und Landgericht verhandelt sowie die Verfahren der Fachgerichte, also auch des Arbeitsgerichts. Vor den Sälen befinden sich Sitzbänke und die obligatorischen Büropflanzen.

Die Sitzungssäle werden vor allem durch zwei Dinge geprägt – Holz und Licht. Der Boden aus Parkett, die Stirnseiten vertäfelt. Die Richterbank steht in einigen Sälen auf einem Podest. Die Möbel – Richtertisch und Tische der Parteien sind mit Echtholz furniert – greifen den Holzton des Bodens und der Wände auf. In die Schubladen der Richtertische passt ein Schönfelder. Auch die Bildschirme vor den Sälen sind mit Holz gerahmt.

Die Fenster lassen großzügig Licht herein. Die Deckenbeleuchtung folgt den Bedürfnissen der Arbeitenden und der Besucher.

In den oberen Stockwerken gibt es Verwaltungsräume, die – zu empfehlende – Kantine und die gut ausgestattete Bibliothek jeweils mit Blick über die Stadt.

Wer die Halle im Erdgeschoss an ihrem Ende verlässt, steht vor der Cafeteria, die mit ihrer offenen Theke wie das Café eines Museumsbaus wirkt.

Die Verwaltungsbauten

Rechts und links der Cafeteria befinden sich die Übergänge in die Verwaltungsanbauten, links (Haus B) die Büros der Geschäftsstellen und Richterinnen und Richter des Arbeitsgerichts und der Bediensteten der Staatsanwaltschaft. Das Verwaltungsgebäude rechts (Haus C) belegen die Verwaltungen und Richterzimmer des Amts- und Landgerichts sowie des Sozial- und Verwaltungsgerichts.

Diese Bürogebäude sollen mit ihrer mit Ziegel verkleideten Fassade einen Bezug zum Altbau herstellen. Auch hier wurde nicht an der Gestaltung gespart. Je fünf Fenster gruppieren sich zu einer Einheit im Ziegelmuster, dass selbst wieder in Flechtbändern sortiert ist.

Wer die Verwaltungsbauten betritt, gelangt in ein großes Foyer, über dem in den einzelnen Etagen ebenfalls offene Rundgänge liegen. Der Blick reicht auch hier bis zum Glasdach.

Die Höfe

Das Justizzentrum hat insgesamt fünf Höfe, die sich nicht nur in ihrer Funktion als Parkplatz, Naturlandschaft oder Eingangs- oder Aufenthaltszone unterscheiden, sondern auch in ihrem Erscheinungsbild. Den Eingangshof habe ich beschrieben.

Die zwei Innenhöfe der Verwaltungsbauten beherbergen Gehölzgruppen und Haine.

Der Innenhof zwischen Altbau, Saaltrakt und Haus C ist funktional: Parkplatz und Anlieferzone.

Der Innenhof des ersten Erweiterungsbaus steht dazu in einem starken Kontrast: Dort stand das Denkmal zum Aachener Kongress – von dem die Kongressstraße ihren Namen hat. Hier trafen sich im Oktober 1818 der preußische König Friedrich Wilhelm III., der österreichische Kaiser Franz I. und der russische Zar Alexander I. in Aachen, um den fünften Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig zu feiern. Das Kongressdenkmal musste dem Erweiterungsbau weichen und zog in den Aachener Stadtgarten um. An seine Stelle trat ein Brunnen mit einem steinernen Merkur, den ebenfalls Wolfang Wallner gestaltet hatte. Der heutige Betonbrunnen hat zwar etwas Meditatives, ein Künstlername scheint mit ihm aber nicht verbunden zu sein.

Der Park

Um das Justizzentrum verläuft ein Park, der es gegenüber der Umgebung hervorhebt und gleichzeitig einen Übergang zu den Nachbarbauten herstellt.

Die Raumnummern im ArbG Aachen

Für den Besucher vielleicht nicht ohne Belang:

Alle Raumbezeichnungen sind vierstellig. Die erste Ziffer gibt das Geschoss an, die zweite Ziffer verweist auf das Gebäude, für den Zentralbau steht die Null.

Es gibt keine Zufälle!

Zusammenfassung

Das Justizzentrum Aachen verbindet alte und neue Justizwelt ausgezeichnet und vorbildlich. Und es wirkt keineswegs wie ein „Zweckbau“ – hier könnte, ohne optische Abstriche machen zu müssen, ein Kulturbau, ein Museum einziehen. Kein Wunder, dass dies prämiert wurde.

Die Serie widmet sich Deutschlands Arbeitsgerichten – den Gebäuden, ihrer Architektur und der Umgebung

Hier geht es zum Arbeitsgericht Lübeck, die vorhergehenden Teile finden Sie hier: HannoverRadolfzellWeselOffenbach am MainBochumBremenDetmoldHamburgKoblenzKarlsruheDarmstadtDuisburgUlmStuttgartBerlinRavensburgMünchenSaarbrückenKölnSiegburgFrankfurt.

Tags: Adalbertsteinweg Arbeitsgericht Aachen ArbG Architektur Gebäude Justizzentrum Aachen