24. Juni 2019
Haftung Geschäftsführer Steuerpflicht
Restrukturierung und Insolvenz

Haftung von Geschäftsleitern für Verletzungen von Steuerpflichten in der Krise

Haftungsrisiken für Steuerschulden drohen bereits in der Zeit vor Insolvenzantragstellung.

Die steuerlichen Pflichten von Geschäftsführern und Vorständen sind schon im gewöhnlichen Geschäftsbetrieb weitreichend. In einer Krise verschärfen sich die Pflichten, je näher das Unternehmen auf eine Insolvenzantragspflicht zusteuert.

Die in dieser Zeit begründeten Steuerforderungen sind als Insolvenzforderungen nach § 38 InsO zu qualifizieren, weshalb der Fiskus „nur″ in Höhe der Insolvenzquote befriedigt wird. Für gewöhnlich versuchen die Behörden, den Ausfall zwischen Nennwert der Steuerforderung und Insolvenzquote zu kompensieren, indem sie die (ehemaligen) Unternehmensleiter in Anspruch nehmen. Steuerliche Haftungsansprüche, für die der Unternehmensleiter persönlich und unbeschränkt mit seinem gesamten Privatvermögen einzustehen hat, können auch trotz rechtzeitiger Insolvenzantragstellung bestehen.

Ungeachtet dessen sind Besonderheiten während des vorläufigen Insolvenzverfahrens und im eröffneten Insolvenzverfahren zu beachten, die in einem Folgebeitrag besprochen werden.

Ausgangspunkt der steuerlichen Haftung – § 69 Abgabenordnung (AO)

Gesetzliche Grundlage der steuerlichen Haftung des Organs für die Steuerschulden des Unternehmens ist regelmäßig § 69 AO i.V.m. § 34 Abs. 1 AO. Danach haften insbesondere Geschäftsführer und Vorstände, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen obliegenden Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund ausgezahlt werden.

Die Haftung droht dabei auch demjenigen, der sich als Geschäftsführer oder Vorstand „geriert″, indes nicht als solcher formal bestellt ist (sog. faktischer Geschäftsführer). Gleiches gilt, wenn andere Personen im Unternehmen oder Dritte die fehlerhafte Festsetzung oder Erfüllung von Steuerverbindlichkeiten auslösen und die Geschäftsleitung nicht für eine ordnungsgemäße Auswahl und Überwachung gesorgt hat und dies beweisen kann.

Die Steuerbehörde ist dann nach einer nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbaren Ermessensentscheidung in der Lage, einen steuerlichen Haftungsanspruch durch Haftungsbescheid zu verfolgen (§ 191 AO). Sie muss also nicht zunächst langwierig bei einem Gericht einen vollstreckbaren Titel erstreiten. Ein solcher Haftungsbescheid kann neben den eigentlichen Steuern (etwa Einkommen- oder Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer, Gewerbesteuer, Lohnsteuer) auch sog. steuerliche Nebenleistungen zum Gegenstand haben, wie z.B. Säumniszuschläge und Zinsen. In Anspruch genommene (faktische) Geschäftsleiter haften gegenüber dem Fiskus nebeneinander und gemeinsam mit der Gesellschaft als Gesamtschuldner. Eine Rangfolge gibt es im Außenverhältnis nicht.

Grundsatz: Pflicht zur vollständigen und pünktlichen Steuerentrichtung in der Krise

Neben der rechtzeitigen und inhaltlich zutreffenden Abgabe von Steuererklärungen sind Geschäftsleiter vor allem dazu verpflichtet, dass die vom Unternehmen geschuldeten Steuern aus den von ihnen verwalteten Vermögensmitteln ordnungsgemäß und damit in vollständiger Höhe an den Fiskus entrichtet werden. Eine Haftung des Organs kommt nicht erst dann in Betracht, wenn Steuern überhaupt nicht entrichtet werden, sondern bereits dann, wenn entsprechende Zahlungen nicht bis zur Fälligkeit geleistet werden. Wann dies der Fall ist, bestimmt sich nach der Art der jeweiligen Steuer. Auch innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 15a Abs. 1 InsO und damit (unmittelbar) vor einer Insolvenzantragstellung besteht die Pflicht des Organs zur Steuerentrichtung unverändert fort.

Allerdings: Haftungserleichterung nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung

In einer Unternehmenskrise sind die liquiden Mittel oft knapp, sodass regelmäßig nicht sämtliche Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt der Fälligkeit bedient werden können. Eine Haftung nach § 69 AO kommt jedoch nur in Betracht, soweit entsprechende Steuerverbindlichkeiten mit den zur Verfügung stehenden Mitteln überhaupt hätten getilgt werden können. Die Geschäftsführung verletzt die ihr nach § 34 AO obliegenden steuerlichen Pflichten im Fall unzureichender finanzieller Mittel also nur dann, wenn sie den Fiskus schlechter behandelt als die übrigen Gläubiger. Daraus ergibt sich der sogenannte Grundsatz der anteiligen Tilgung – fällige Steuerschulden sind in (annähernd) gleichem Umfang zu tilgen, wie die Verbindlichkeiten anderer (privater) Gläubiger.

Soweit die Geschäftsleitung die Steuerverbindlichkeiten nach diesem Grundsatz zumindest anteilig tilgt, fehlt es an der erforderlichen Kausalität der Pflichtverletzung durch unterlassene Begleichung der Steuerverbindlichkeiten. Der Umfang der Haftung nach § 69 AO ist demgemäß auf den Betrag beschränkt, der infolge der Pflichtverletzung nicht entrichtet wurde. Der BFH spricht insofern richtigerweise davon, dass sich die Pflicht zur Entrichtung der Steuer auf die verwalteten Mittel beschränkt und sich auf dieser Grundlage auch der genaue Haftungsumfang bemisst. Bei der entsprechenden Berechnung gilt das Prinzip der Differenzhaftung, wonach die durchschnittliche Tilgungsquote der steuerlichen Tilgungsquote gegenüber zu stellen ist.

Achtung: für Lohnsteuer gilt Grundsatz der anteiligen Tilgung nicht

Für die Lohnsteuer gilt der vorstehend skizzierte Grundsatz der gleichmäßigen anteiligen Tilgung allerdings nicht. Vielmehr muss die Geschäftsleitung die Lohnsteuerschulden der Gesellschaft vorrangig erfüllen, um eine Haftung nach § 69 AO zu vermeiden. Damit gilt im Ergebnis, dass das Finanzamt gegenüber den Arbeitnehmern nicht benachteiligt werden darf, sondern alle Parteien gleichmäßig befriedigt werden müssen.

Eine Organhaftung besteht deshalb dann, wenn zwar die Nettolöhne an Arbeitnehmer ausgezahlt werden, die Lohnsteuer indes nicht an das Finanzamt abgeführt wird. Stehen hierfür keinerlei Finanzmittel zur Verfügung, ist das Organ in diesem Fall aus steuerlicher Sicht gehalten, die Nettolöhne zu kürzen, um zumindest die hierauf anfallende Lohnsteuer abzuführen. Bei Zöllen und Verbrauchsteuern können ebenfalls Besonderheiten gelten.

Darüber hinaus: Mittelvorsorgepflicht in krisenbehafteten Zeiten

Neben der Verletzung von Steuerentrichtungspflichten kann eine Organhaftung daraus folgen, dass die Geschäftsleitung ihrer Pflicht zur ausreichenden Mittelvorsorge nicht nachgekommen ist. Damit wird der Anknüpfungspunkt für eine (potentielle) Pflichtverletzung zeitlich nach vorne verlagert.

Die Pflicht zur Mittelvorsorge setzt der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit finanzschwacher Gesellschaften spürbare Grenzen. Denn die Organe sind grundsätzlich dazu verpflichtet, die zur Verfügung stehenden Mittel bereits vor der Fälligkeit der Steuerschuld – und damit noch vor der Pflicht zu deren Entrichtung – auf eine Art und Weise zu verwalten, dass eine Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit gewährleistet ist. In der Rechtsprechung des BFH ist beispielsweise geklärt, dass eine Verletzung der Mittelvorsorgepflicht dann vorliegt, wenn ein GmbH-Geschäftsführer die auf einen durch ihn geschlossenen Vertrag später entfallende Umsatzsteuerschuld nicht aus den Mitteln der GmbH wird entrichten können und dies zumindest hat erkennen können (Urteil v. 5. Februar 1985 – VII R 124/80).

Kollision mit gesellschaftsrechtlichen Pflichten zugunsten des Fiskus aufgelöst

Ab Eintritt der Insolvenzreife besteht für Geschäftsführer und Vorstände grundsätzlich eine Haftung gegenüber der Gesellschaft für verbotene Auszahlungen, also alle Zahlungen, die die künftige Insolvenzmasse geschmälert haben und die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar gewesen sind. Der Maßstab von Gesetz und Rechtsprechung an eine Exkulpation der Geschäftsleitung ist sehr streng. Die Beweislast liegt bei der Geschäftsleitung. Selbst bei Abschluss einer sogenannten D&O Versicherung kann ein persönliches Haftungsrisiko bestehen.

Die steuerliche Haftung nach § 69 AO kollidiert an dieser Stelle mit der gesellschaftsrechtlichen Haftung nach § 64 GmbHG, § 92 AktG oder § 130a HGB. Es entspricht jedoch inzwischen der Rechtsprechung für den Krisenzeitraum, dass Zahlungen von Steuerverbindlichkeiten, für die ansonsten eine Haftung nach §§ 34, 69 AO drohen würde, getätigt werden dürfen und müssen. Der Konflikt wurde insofern zu Gunsten des Fiskus aufgelöst. Insbesondere kann laut dem BFH die Steuerzahlung nicht mit der Begründung verweigert werden, dass sie bei einer etwaigen Insolvenzeröffnung ohnehin vom Insolvenzverwalter angefochten werden könnte.

Fazit: steuerliche Haftungsrisiken in einer Unternehmenskrise rechtzeitig bedenken

Geschäftsführer und Vorstände sollten auch in der Krise ihre steuerlichen Pflichten vollumfänglich erfüllen, um persönliche Haftungsrisiken aus der Zeit vor einem Insolvenzeröffnungsverfahren zu vermeiden. Eine sukzessive Überwachung im Rahmen des laufenden Betriebes unter Berücksichtigung der Besonderheiten der einzelnen Steuerarten und der Finanzplanung des Unternehmens ist stets angezeigt und sollte ausführlich zum Zweck der Beweisvorsorge rechtssicher dokumentiert werden. Gerade die Mittelvorsorgepflicht kann bereits an einen frühen Zeitpunkt anknüpfen. Kümmern sich andere um steuerliche Belange, besteht für die Geschäftsleitung eine Auswahl- und Überwachungspflicht.

Die gesellschaftsrechtliche Haftung für verbotene Auszahlungen berührt die steuerlichen Pflichten nicht. Die Praxis zeigt, dass die Steuerbehörden die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Geschäftsleitung durch Haftungsbescheide regelmäßig nutzen. In einer Vielzahl von Fällen sind diese nicht oder zumindest nicht in dem geltend gemachten Umfang zutreffend. Daher lohnt häufig eine kritische Überprüfung.

Unsere Beitragsreihe informiert rund um die Restrukturierung eines Unternehmens innerhalb und außerhalb einer Insolvenz. Den Auftakt machte eine Einführung in die Unternehmensinsolvenz und -restrukturierung. In den folgenden Beiträgen beleuchteten wir die Haftung von Geschäftsführern bei Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung sowie das Insolvenzgeld und die Insolvenzgeldvorfinanzierung in der Praxis. Des Weiteren widmeten wir uns der Reform zum neuen Insolvenzanfechtungsrecht, der Insolvenzantragspflicht und den Insolvenzgründen für Unternehmen. Anschließend berichteten wir über die Entscheidung des EuGH zum Beihilfecharakter der Sanierungsklausel sowie die Vorverlagerung des Zeitpunkts der Zahlungsunfähigkeit. Daraufhin setzten wir uns mit dem Ablauf des Insolvenzantrags und des Insolvenzeröffnungsverfahrens und dem Insolvenzantrag durch Gläubiger auseinander. Danach wurde die Insolvenzforderung vs. MasseforderungVerkürzung des Schutzes durch D&O – Versicherungen und Forderungen und Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz betrachtet. Weiter erschienen Beiträge zum Insolvenzantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit – Entmachtung des Gesellschafters oder Haftungsfalle für die Geschäftsführung, zu Gläubigerrechten in der Krise oder Insolvenz des Schuldners, zu Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung sowie zu Pensionsansprüchen des beherrschenden GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers in der GmbH-Insolvenz. Es folgten Beiträge zum Schutz vor der Insolvenzanfechtung durch Bargeschäfte und der Steuerfreiheit für Sanierungsgewinne. Anschließend erschien ein Beitrag zum Wahlrecht des Insolvenzverwalters sowie Beiträge zum fehlenden Fiskusprivileg in der vorläufigen Eigenverwaltung, der ESUG Evaluation und zur Mindestbesteuerung in der Insolvenz. Auch erschienen Beiträge zur Aufrechnung in der Insolvenz, zu Aus- und Absonderungsrechten und zum Insolvenzplanverfahren sowie zum Lieferantenpool. Weiter haben wir zu Folgen und Wirkungen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, über das Konzerninsolvenzrecht und die Treuepflichten in der Krise sowie Cash Pooling als Finanzierungsinstrument im Konzern berichtet. Zuletzt klärten wir über die Haftung von Geschäftsführern und Vorständen für Zahlungen in der Krise, über das  französische Insolvenzverfahren, die Procédure de Sauvegarde und Sauvegarde financière accélérée, sowie die Forderungsanmeldung und Haftung von Geschäftsleitern für Verletzungen von Steuerpflichten auf. Ebenfalls zeigen wir die Grundlagen von Sanierungskonzepten und Sanierungsgutachten auf und gehen auf das Verhältnis von Kurzarbeiter- und Insolvenzgeld ein. Zuletzt haben wir uns mit dem Datenschutz im Asset-Deal beschäftigt.

Tags: Geschäftsleitung Haftung für Steuerschulden Insolvenzreife Krise Organhaftung § 64 GmbHG § 69 AO