21. Januar 2019
Mindestbesteuerung Insolvenz
Restrukturierung und Insolvenz Steuerrecht

FG Düsseldorf: Keine Mindestbesteuerung in der Insolvenz – Berücksichtigung sämtlicher Verluste bis zum Ende der Abwicklung

Die unbeschränkte Verrechnung von steuerlichen Verlusten aus der Zeit vor oder während der Insolvenz führt zu niedrigerer Steuerlast.

Die Anwendung der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 10d Abs. 2 EStG (so genannte Mindestbesteuerung) ist in Insolvenzverfahren häufig ein Zankapfel. In der Tat ist es nicht nachvollziehbar, weshalb die vor und während des Insolvenzverfahrens entstandenen Verluste der Insolvenzschuldnerin (größer als eine Mio. Euro) endgültig ungenutzt bleiben sollen und nicht mit im Rahmen des Insolvenzverfahrens anfallenden Gewinnen zu verrechnen sind.

Daran hängt nicht weniger als die Frage, ob der Insolvenzverwalter letztlich noch Ertragsteuer als Masseverbindlichkeit an das Finanzamt abzuführen hat bzw. bei bereits erfolgter Tilgung eine entsprechende Erstattung zur Masse ziehen kann.

FG Düsseldorf: Keine Mindestbesteuerung in der Insolvenz

Das FG Düsseldorf hat nunmehr mit Urteil vom 18. September 2018 (6 K 454/15 K, NZI 2018, 990) entschieden, dass die steuerliche Verlustabzugsbeschränkung bei der insolvenzbedingten Abwicklung einer Gesellschaft keine Anwendung findet.

Die Entscheidung ist begrüßenswert, steuersystematisch zutreffend und ermöglicht eine praxistaugliche Handhabung der steuerlichen Vorschriften in der Insolvenz. Im Ergebnis führt sie zu einer Minimierung der Ertragsteuerlast aus dem Zeitraum des eröffneten Insolvenzverfahrens. Damit hat das FG Düsseldorf die überschießende und in Literatur und Rechtsprechung hoch umstrittene Vorschrift des § 10d Abs. 2 EStG zumindest für den „Sonderfall“ der Insolvenz auf ein teleologisch und verfassungsrechtlich gebotenes Maß begrenzt. Denn anders als der normale Steuerfall führte die Mindestbesteuerung ansonsten nicht bloß zu einer nur zeitweisen Nichtanerkennung von Verlusten, sondern zu deren endgültigem Untergang („Definitiveffekt“). Eine offensichtlichere Negierung des Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG) und dem daraus folgenden (objektiven) Nettoprinzip wäre kaum vorstellbar!

Wiederkehrend erlassene Steuerbescheide haben nur vorläufige Wirkung

In steuerverfahrensrechtlicher Hinsicht beschreitet das FG Düsseldorf neue Wege in der Rechtsprechung und liefert damit einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung des „Insolvenzsteuerrechts″. Regelmäßig erlässt das Finanzamt in mehrjährigen Insolvenzverfahren einen Steuerbescheid für die ersten drei Jahre (vgl. § 11 Abs. 1 S. 2 KStG). Darauf folgen sodann jährliche Veranlagungen der Insolvenzschuldnerin.

Dabei ist bislang nicht durch den BFH geklärt, ob es sich bei den erlassenen Steuerbescheiden um bloß vorläufige Zwischenveranlagungen oder endgültige Steuerfestsetzungen handelt. Diese Frage ist eng mit der Einlegung von Einsprüchen gegen eben diese Bescheide zur Wahrung der Rechtsposition der Insolvenzschuldnerin verbunden.

Das FG Düsseldorf hat sich für die Vorläufigkeitswirkung entschieden, sodass letztlich alle bereits erlassenen Steuerbescheide im Nachhinein durch einen umfassenden Steuerbescheid zu ersetzen sind. Den verfahrensrechtlichen Hebel hierfür bildet § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO, da das Ende des Abwicklungszeitraums als „rückwirkendes Ereignis″ zu qualifizieren sei. Auf diese Weise können auch noch bereits erlassene und materiell bestandskräftige Bescheide zugunsten der Insolvenzschuldnerin geändert werden.

Ende des steuerlichen Liquidationszeitraums weicht vom Handelsrecht ab

Der steuerliche Liquidationszeitraum beginnt mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der Vornahme von Verwertungshandlungen, sodass gegebenenfalls ein sog. Rumpfwirtschafsjahr zu bilden ist, welches eine kürzere Periode als zwölf Monate aufweist. Nach Ansicht des FG Düsseldorf entspricht das Ende des steuerlichen Liquidationszeitraums hingegen nicht dem Stichtag der handelsrechtlichen Schlussbilanz mit Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens.

In der Praxis: Einzelfallprüfung der verfahrensrechtlichen Situation der Insolvenzschuldnerin

Die Entscheidung des FG Düsseldorf hat sowohl für gegenwärtige als auch bereits abgeschlossene Insolvenzverfahren praktische Bedeutung, soweit die steuerlichen Verjährungsfristen noch nicht abgelaufen sind. Hierbei ist die verfahrensrechtliche Situation der Insolvenzschuldnerin im Einzelfall zu prüfen, um gegebenenfalls die entsprechenden Rechtsbehelfe zu ergreifen.

Außerdem ist zu beachten, dass eine Entscheidung des BFH in dem anhängigen Revisionsverfahren (I R 36/18) noch aussteht. Sanierungsberater, Insolvenzverwalter und Geschäftsführer sollten die weitere Entwicklung im Blick behalten. Das gilt neben der hier vorliegenden Abwicklung des schuldnerischen Unternehmens auch für eine Betriebsfortführung in der Insolvenz.

Unsere Beitragsreihe informiert rund um die Restrukturierung eines Unternehmens innerhalb und außerhalb einer Insolvenz. Den Auftakt machte eine Einführung in die Unternehmensinsolvenz und -restrukturierung. In den folgenden Beiträgen beleuchteten wir die Haftung von Geschäftsführern bei Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung sowie das Insolvenzgeld und die Insolvenzgeldvorfinanzierung in der Praxis. Des Weiteren widmeten wir uns der Reform zum neuen Insolvenzanfechtungsrecht, der Insolvenzantragspflicht und den Insolvenzgründen für Unternehmen. Anschließend berichteten wir über die Entscheidung des EuGH zum Beihilfecharakter der Sanierungsklausel sowie die Vorverlagerung des Zeitpunkts der Zahlungsunfähigkeit. Daraufhin setzten wir uns mit dem Ablauf des Insolvenzantrags und des Insolvenzeröffnungsverfahrens und dem Insolvenzantrag durch Gläubiger auseinander. Danach wurde die Insolvenzforderung vs. MasseforderungVerkürzung des Schutzes durch D&O – Versicherungen und Forderungen und Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz betrachtet. Weiter erschienen Beiträge zum Insolvenzantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit – Entmachtung des Gesellschafters oder Haftungsfalle für die Geschäftsführung, zu Gläubigerrechten in der Krise oder Insolvenz des Schuldners, zu Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung sowie zu Pensionsansprüchen des beherrschenden GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers in der GmbH-Insolvenz. Es folgten Beiträge zum Schutz vor der Insolvenzanfechtung durch Bargeschäfte und der Steuerfreiheit für Sanierungsgewinne. Anschließend erschien ein Beitrag zum Wahlrecht des Insolvenzverwalters sowie Beiträge zum fehlenden Fiskusprivileg in der vorläufigen Eigenverwaltung, der ESUG Evaluation und zur Mindestbesteuerung in der Insolvenz. Auch erschienen Beiträge zur Aufrechnung in der Insolvenz, zu Aus- und Absonderungsrechten und zum Insolvenzplanverfahren sowie zum Lieferantenpool. Weiter haben wir zu Folgen und Wirkungen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, über das Konzerninsolvenzrecht und die Treuepflichten in der Krise sowie Cash Pooling als Finanzierungsinstrument im Konzern berichtet. Zuletzt klärten wir über die Haftung von Geschäftsführern und Vorständen für Zahlungen in der Krise, über das  französische Insolvenzverfahren, die Procédure de Sauvegarde und Sauvegarde financière accélérée, sowie die Forderungsanmeldung und Haftung von Geschäftsleitern für Verletzungen von Steuerpflichten auf. Ebenfalls zeigen wir die Grundlagen von Sanierungskonzepten und Sanierungsgutachten auf und gehen auf das Verhältnis von Kurzarbeiter- und Insolvenzgeld ein. Zuletzt haben wir uns mit dem Datenschutz im Asset-Deal beschäftigt. 

Tags: Abgabenordnung Einkommensteuer Insolvenz Mindestbesteuerung Rückwirkendes Ereignis Sanierung Verlustverrechnung