12. September 2019
Grenzüberschreitende Insolvenz
Restrukturierung und Insolvenz

Grenzüberschreitende Insolvenzen und die reformierte EuInsVO

Bei grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren innerhalb der EU regelt grundsätzlich die EuInsVO, welches Recht auf bestimmte Vorgänge und Sachverhalte Anwendung findet.

Aufgrund der fortschreitenden Globalisierung spielen sich Insolvenzen heutzutage oft nicht mehr ausschließlich auf nationaler Ebene ab, sondern finden über Ländergrenzen hinweg statt. Dies ist insbesondere der Fall bei Insolvenzen von größeren Unternehmen mit Standorten in verschiedenen Ländern. Fragen des „internationalen Insolvenzrechts″ sind dementsprechend von zunehmender praktischer Bedeutung.

Die Abwicklung von grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren stellt die Beteiligten häufig nicht nur vor erhebliche praktische Probleme (z.B. Sprachbarrieren, Verhaltensmuster etc.), sondern auch vor äußerst schwierige Rechtsfragen. Insbesondere ist häufig unklar, welches (nationale) Recht auf bestimmte Sachverhalte und Vorgänge (z.B. Forderungsanmeldungen, Insolvenzanfechtung) zur Anwendung kommt. Für grenzüberschreitende Insolvenzverfahren innerhalb der EU gibt hierauf unter anderem die Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO) Antworten, wobei für Kreditinstitute und Versicherungen weitere Spezialregelungen gelten. Grundsätzlich genießt die EuInsVO Anwendungsvorrang vor den nationalen Regelungen der einzelnen Mitgliedstaaten.

Neue Regelungen für grenzüberschreitende Insolvenzen innerhalb der EU

Seit dem 26. Juni 2017 gilt für alle Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme Dänemarks eine reformierte Fassung der EuInsVO (VO (EU) Nr. 2015/848). Sie ersetzt die bisherige seit 2002 geltende Fassung (VO (EG) Nr. 1346/2000).

Die Neuregelungen spiegeln aktuelle Entwicklungen des Insolvenzrechts wieder und sollen für eine effizientere Abwicklung grenzüberschreitender Insolvenzverfahren sorgen. Inhaltlich enthält die reformierte EuInsVO Neuerungen zur gerichtlichen Zuständigkeit, erstmalige Regelungen bzgl. Konzerninsolvenzverfahren und ergänzende Regelungen im Verhältnis zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren.

Anwendung der EuInsVO auf vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren

Nach Art. 1 kann die EuInsVO nunmehr auch auf sog. vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren Anwendung finden, sofern diese Verfahren in Annex A der EuInsVO gelistet sind. Hierbei handelt es sich um Verfahren, die in einer (wirtschaftlichen) Krise die Insolvenz des Unternehmens verhindern sollen.

Damit reagiert der EU-Gesetzgeber auf die in vielen Mitgliedstaaten bereits seit einiger Zeit vorherrschende Tendenz, solche Verfahren in ihrem nationalen Recht zu schaffen. Auch ist diese Erweiterung im engen Zusammenhang mit der erst kürzlich in Kraft getretenen Richtlinie zum präventiven Restrukturierungsrahmen zu sehen. Diese verpflichtet die Mitgliedstaaten, innerhalb der nächsten zwei Jahre ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren einzuführen. In Deutschland besteht ein solches vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren bisher nicht.

Konkretisierung der gerichtlichen Zuständigkeit

Auch unter der reformierten EuInsVO bestimmt sich die internationale Zuständigkeit für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens nach dem sogenannten „Centre of Main Interest″ (COMI). Zuständig für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens sind danach die Gerichte desjenigen Mitgliedstaats, an dem der Schuldner gewöhnlich seine Interessen verwaltet und der für Dritte (objektiv) feststellbar ist.

Bislang galt insoweit die Vermutung, dass der COMI am Sitz der Gesellschaft ist. Nach der Neuregelung in Art. 3 Abs. 1 kann der Schuldner sich allerding nun nicht mehr auf diese Vermutung berufen, wenn der Sitz drei Monate vor Insolvenzantragstellung in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wurde. Zweck dieser Einschränkung ist, das sogenannte „Forum Shopping″ einzudämmen.

Synthetische Sekundärinsolvenzverfahren

Für Fälle, in denen die Schuldnerin Niederlassungen im Ausland hat, sieht die EuInsVO seit jeher vor, dass in einem Mitgliedstaat ein Hauptinsolvenzverfahren und in anderen Mitgliedstaaten eigene, sogenannte Sekundärinsolvenzverfahren hinsichtlich des dort belegenen Vermögens eröffnet werden können. Die Erfahrung hat allerdings gezeigt, dass die Eröffnung von Sekundärinsolvenzverfahren mitunter einheitliche Sanierungslösungen erschweren oder gar verhindern kann.

Die reformierte EuInsVO enthält daher Regelungen zur Stärkung des Hauptinsolvenzverfahres. Dies kommt vor allem in Art. 36 EuInsVO zum Ausdruck. Um im Vorhinein etwaige Konflikte zu vermeiden, kann der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens hiernach nun die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens unter bestimmten Umständen verhindern. Dazu muss er den betroffenen lokalen Gläubigern quasi in Form einer Vereinbarung zusichern, diese so zu stellen, wie sie bei Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens gestanden hätten (synthetisches Sekundärinsolvenzverfahren).

Koordinierte Konzerninsolvenzen in EuInsVO erfasst

Weiter enthält die Neufassung der EuInsVO erstmalig Regelungen für grenzüberschreitende Konzerninsolvenzen. Im Kern geht es um die Koordination einzelner Insolvenzverfahren innerhalb einer Unternehmensgruppe, ohne dass eine materielle Konsolidierung der einzelnen Insolvenzverfahren zu einem „Einheitsverfahren″ mit einer Insolvenzmasse stattfindet.

Ziel der Neuregelungen ist es, gewachsene Unternehmensstrukturen auch in der Insolvenz zu nutzen und eine abgestimmte Verwertung der Vermögenwerte zu gewährleisten. Hierzu sind weitreichenden Kooperations- und Unterrichtungspflichten vorgesehen.

Auch soll durch ein Gruppen-Koordinationsverfahren (Art. 61 ff. EuInsVO) eine effektive und abgestimmte Sanierung ermöglicht werden. Eine zentrale Rolle nimmt hierbei der Koordinationsverwalter ein, dessen Aufgabe primär darin besteht, Empfehlungen auszusprechen und Maßnahmen in Form eines Koordinationsplanes gegenüber den Insolvenzverwaltern der einzelnen Verfahren vorzuschlagen.

Vernetzung der Insolvenzregister

Schließlich werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, öffentlich zugängliche Insolvenzregister zu schaffen. Während in Deutschland bereits seit geraumer Zeit eine entsprechende Datenbank existiert (insolvenzbekanntmachungen.de), ist dies in anderen Mitgliedstaaten nicht der Fall. Die (zum Teil noch zu schaffenden) Insolvenzregister der Mitgliedstaaten sollen schließlich über das Europäische Justizportal vernetzt und mit einer zentralen Durchsuchungsfunktion versehen werden. Bislang ist dies allerdings nur zum Teil erfolgt. Eine wichtige Rolle dürfte diese Neuerung auch im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr haben, da so auf einfache Weise geprüft werden kann, ob über das Vermögen möglicher Vertragspartner bereits ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde.

EuInsVO erleichtert die Bewältigung von grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren

Während die EuInsVO primär Lösungen für Rechtsprobleme vorsieht, verbleiben weiterhin zahlreiche praktische Herausforderungen und Hürden (z.B. Sprachbarrieren, Verhaltensmuster etc.). Deren Bewältigung setzt weitreichende Kenntnisse und praktische Erfahrungen in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren voraus. Insbesondere um das Potential der EuInsVO voll ausschöpfen zu können, ist es daher ratsam in Insolvenzfällen mit internationalen Bezügen, kundigen Rechtsrat einzuholen.

Unsere Beitragsreihe informiert rund um die Restrukturierung eines Unternehmens innerhalb und außerhalb einer Insolvenz. Den Auftakt machte eine Einführung in die Unternehmensinsolvenz und -restrukturierung. In den folgenden Beiträgen beleuchteten wir die Haftung von Geschäftsführern bei Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung sowie das Insolvenzgeld und die Insolvenzgeldvorfinanzierung in der Praxis. Des Weiteren widmeten wir uns der Reform zum neuen Insolvenzanfechtungsrecht, der Insolvenzantragspflicht und den Insolvenzgründen für Unternehmen. Anschließend berichteten wir über die Entscheidung des EuGH zum Beihilfecharakter der Sanierungsklausel sowie die Vorverlagerung des Zeitpunkts der Zahlungsunfähigkeit. Daraufhin setzten wir uns mit dem Ablauf des Insolvenzantrags und des Insolvenzeröffnungsverfahrens und dem Insolvenzantrag durch Gläubiger auseinander. Danach wurde die Insolvenzforderung vs. Masseforderung, Verkürzung des Schutzes durch D&O – Versicherungen und Forderungen und Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz betrachtet. Weiter erschienen Beiträge zum Insolvenzantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit – Entmachtung des Gesellschafters oder Haftungsfalle für die Geschäftsführung, zu Gläubigerrechten in der Krise oder Insolvenz des Schuldners, zu Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung sowie zu Pensionsansprüchen des beherrschenden GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers in der GmbH-Insolvenz. Es folgten Beiträge zum Schutz vor der Insolvenzanfechtung durch Bargeschäfte und der Steuerfreiheit für Sanierungsgewinne. Anschließend erschien ein Beitrag zum Wahlrecht des Insolvenzverwalters sowie Beiträge zum fehlenden Fiskusprivileg in der vorläufigen Eigenverwaltung, der ESUG Evaluation und zur Mindestbesteuerung in der Insolvenz. Auch erschienen Beiträge zur Aufrechnung in der Insolvenz, zu Aus- und Absonderungsrechten und zum Insolvenzplanverfahren sowie zum Lieferantenpool. Weiter haben wir zu Folgen und Wirkungen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, über das Konzerninsolvenzrecht und die Treuepflichten in der Krise sowie Cash Pooling als Finanzierungsinstrument im Konzern berichtet. Zuletzt klärten wir über die Haftung von Geschäftsführern und Vorständen für Zahlungen in der Krise, über das  französische Insolvenzverfahren, die Procédure de Sauvegarde und Sauvegarde financière accélérée, sowie die Forderungsanmeldung und Haftung von Geschäftsleitern für Verletzungen von Steuerpflichten auf. Ebenfalls zeigen wir die Grundlagen von Sanierungskonzepten und Sanierungsgutachten sowie die Grundlagen der Insolvenzanfechtung auf.

Tags: Cross-Border EuInsVO Grenzüberschreitende Insolvenz Sanierungsverfahren