13. Mai 2019
Insolvenz Haftung Geschäftsführer
Restrukturierung und Insolvenz

Haftung von Geschäftsführern und Vorständen für Zahlungen in der Krise

Die Haftung von Geschäftsleitern in der Krise ist streng – wann müssen sie haften und welche Zahlungen sind noch erlaubt?  

Geschäftsführer und Vorstände unterliegen in der Krise eines Unternehmens einem erheblichen Haftungsrisiko.

Die Haftung von Geschäftsführern einer GmbH ist in § 64 S. 1 GmbHG und die der Vorstände einer AG in § 92 Abs. 2 S. 1 AktG geregelt. Nach diesen beiden Vorschriften können alle Zahlungen, die von der Geschäftsleistung nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung noch veranlasst oder zugelassen werden, eine persönliche Haftung begründen. Auf diese Weise kann sich durch eine Fortführung des Unternehmens nach Eintritt der Insolvenzreife sehr schnell ein erhebliches und häufig auch existenzbedrohendes Haftungspotential für die Geschäftsleitung aufbauen.

Haftung eines Geschäftsführers mit Privatvermögen

Kommt es infolge der eingetretenen Insolvenzreife zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, ist der vom Gericht bestellte Insolvenzverwalter grundsätzlich verpflichtet, Ersatzansprüche wegen unzulässiger Zahlungen i.S.d. § 64 S. 1 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 S. 1 AktG zu verfolgen.

Mittlerweile haben viele Insolvenzverwalter eigene Fachabteilungen zur Prüfung und Durchsetzung von Haftungsansprüchen aufgebaut oder arbeiten mit hierauf spezialisierten externen Rechtsanwälten zusammen. Bei der Auswertung der Buchhaltung zur Feststellung der Insolvenzreife und Ermittlung der haftungsbegründenden Zahlungen wird spezielle Software eingesetzt.

Die Organe der insolventen Gesellschaft können deshalb nicht darauf hoffen, dass solche Haftungsansprüche „unter den Tisch fallen″. Kommt es zu einer Inanspruchnahme, haften sie mit ihrem Privatvermögen für alle – nicht ausnahmsweise privilegierten – Zahlungen.

Begriff der „Zahlungen“: Weiter, als gedacht

Haftungsbegründend sind alle Auszahlungen aus dem Vermögen der Gesellschaft, ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzreife (Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung).

Wann eine Zahlung vorliegt, ist weniger eindeutig als gedacht. Der Begriff der Zahlungen wird vom BGH sehr weit ausgelegt, denn dadurch soll der wirksame Schutz der Gesellschaftsgläubiger vor ungerechtfertigten Verkürzungen der späteren Insolvenzmasse sichergestellt werden können (vgl.  BGH, Urteil v. 16. März 2009 – II ZR 32/08, NJW 2009, 1598, 1599).

Es werden nicht lediglich Geldleistungen im Sinne einer Bargeldzahlung oder bargeldlosen Zahlung durch Überweisung erfasst. Auch andere Leistungen stellen Zahlungen dar, wenn dadurch Liquidität zu Lasten des Gesellschaftsvermögens entzogen wird. Deshalb können zum Beispiel Abtretungen von Forderungen, eine Aufrechnung, die Stellung von Sicherheiten für Gläubiger oder die Herausgabe von ungesicherten Gegenständen an Gläubiger relevant sein. Auch Dienstleistungen und Warenlieferungen gehören dazu.

Darüber hinaus werden insbesondere auch Einzahlungen Dritter auf ein debitorisch geführtes Konto der insolvenzreifen Gesellschaft von der Rechtsprechung als Zahlung angesehen. Denn in dem Zahlungseingang auf dem debitorischen Konto soll zugleich eine Zahlung der insolvenzreifen Gesellschaft an die Bank liegen.

Haftung ab Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung

Die Haftung nach § 64 GmbHG bzw. § 92 AktG beginnt mit dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 InsO oder der Überschuldung einer Gesellschaft im Sinne des § 19 InsO.

Feststellung und Möglichkeiten zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit

Zahlungsunfähigkeit liegt nach § 17 InsO vor, wenn ein Schuldner nicht mehr in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Der BGH nimmt die Zahlungsunfähigkeit an, wenn eine Lücke zwischen den vorhandenen liquiden Mitteln und den fälligen Verbindlichkeiten besteht, die größer als 10 % ist, und diese Lücke nicht innerhalb von längstens drei Wochen beseitigt werden kann. Anders ausgedrückt: Ein Unternehmen muss in der Lage sein, ausreichende Geldmittel zu haben, um kurzfristig mindestens 90 % seiner fälligen Verbindlichkeiten bezahlen zu können. Gelingt dies nicht, ist das Unternehmen zahlungsunfähig.

Dabei wird die Zahlungsunfähigkeit geprüft, indem die verfügbaren liquiden Mittel (z. B. Bankguthaben, offene Kreditlinien, Zugriff auf Gelder aus einem Cash Pool) den fälligen und ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten gegenübergestellt werden. Ausgehend von dem Stichtag, zu dem die Prüfung durchgeführt wird, prüft man in einem zweiten Schritt, welche weiteren liquiden Mittel in den kommenden drei Wochen zufließen („Aktiva II″) und welche weiteren Verbindlichkeiten binnen drei Wochen zusätzlich fällig werden („Passiva II″).

Eine bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit kann beseitigt werden, indem kurzfristig (maximal binnen drei Wochen!) weitere liquide Mittel zugeführt werden, z. B. durch Aufnahme eines Kredits. Es können aber auch Stundungsvereinbarungen mit Gläubigern fälliger Forderungen geschlossen werden, denn bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit spielen nur die fälligen Verbindlichkeiten im Prüfungszeitraum eine Rolle.

Überschuldung – Umfangreiche Anforderungen an Fortführungsprognose

Eine insolvenzrechtliche Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen einer Gesellschaft die Verbindlichkeiten nicht mehr deckt und keine positive Fortführungsprognose für das Unternehmen festgestellt werden kann, vgl. § 19 Abs. 2 S. 1 InsO.

Eine positive Fortführungsprognose für ein Unternehmen schließt eine Überschuldung von vornherein aus. Deshalb prüft man diese zuerst.

Die Anforderungen des BGH an das Bestehen einer positiven Fortführungsprognose sind umfangreich und dürfen von Organen keinesfalls unterschätzt werden. Eine Gesellschaft muss in der Lage sein, nachhaltig und über einen längeren Zeitraum alle ihre Verbindlichkeiten zu decken. Das setzt zunächst einmal einen Fortführungs- und Sanierungswillen der handelnden Organe voraus. Außerdem verlangt die Rechtsprechung ein realisierbares Unternehmenskonzept und eine plausible Ertrags- bzw. Finanzplanung. Daraus muss sich nachvollziehbar ergeben, dass die Gesellschaft in einem bestimmten Prognosezeitraum in der Lage ist, ihre Verbindlichkeiten fortlaufend zu erfüllen. Der Prognosezeitraum umfasst in der Regel das aktuelle und das folgende Geschäftsjahr, wobei – abhängig vom konkreten Geschäftsgegenstand – auch ein längerer oder ein kürzerer Zeitraum maßgeblich sein können.

Auf der Basis des realisierbaren Unternehmenskonzepts und der plausiblen Ertrags- bzw. Finanzplanung muss die Fortführung der Gesellschaft schließlich überwiegend wahrscheinlich sein, § 19 Abs. 2 S. 1 HS. 2 InsO. Überwiegend wahrscheinlich heißt in Kurzform: Die Wahrscheinlichkeit muss höher sein als 50%. Im Kern läuft die Prüfung der überwiegenden Fortsetzungswahrscheinlichkeit auf die Frage hinaus, wie wahrscheinlich der Eintritt der Annahmen und Prämissen ist, die der Finanzplanung zu Grunde liegen. Geschäftsleiter sollten diese Prüfung sehr sorgfältig vornehmen. „Luftschlösser″ oder „Hoffnungswerte″ haben dort keinen Platz.

Besteht keine positive Fortführungsprognose, kann eine Überschuldung nur vermieden werden, wenn das vorhandene Vermögen (angesetzt mit Liquidationswerten!) höher ist als die Verbindlichkeiten. Ansprüche von Gesellschaftern sind bei den Verbindlichkeiten zu berücksichtigen, wenn kein qualifizierter Rangrücktritt für diese Forderungen vereinbart wurde.

Beweislast von Insolvenzverwalter und Geschäftsführer

Grundsätzlich muss der Insolvenzverwalter, der eine Haftung durchsetzt, beweisen, wann die Insolvenzreife eingetreten ist und welche Auszahlungen danach noch erfolgten.

Alle Einwände gegen eine Insolvenzreife – bei der Zahlungsunfähigkeit sind das z. B. die Möglichkeit, weitere Gelder bzw. Darlehen zu erhalten oder Stundungsvereinbarungen mit Gläubigern, bei der Überschuldung insbesondere die positive Fortführungsprognose – muss der Geschäftsleiter vortragen und notfalls beweisen.  Deshalb ist es extrem wichtig, genau aufzuschreiben, welche Maßnahmen zur Vermeidung einer Insolvenzreife getroffen wurden, welche Unternehmensplanungen zugrunde lagen und von welchen grundlegenden Annahmen und Bewertungskriterien die Geschäftsleistung ausgegangen ist. Zusagen der Gesellschafter, weitere Gelder bereit zu stellen, sollten schriftlich fixiert werden. Gleiches gilt für Zahlungsvereinbarungen mit Gläubigern oder Rangrücktrittsvereinbarungen.

Da sämtliche Buchhaltungsunterlagen ab Insolvenzeröffnung vom Insolvenzverwalter übernommen werden, sollten Daten so gesichert werden, dass auch noch nach längerer Zeit die Möglichkeit besteht, sachgerecht auf eine Haftungsklage zu erwidern.

Privilegierte Zahlungen sind Ausnahmefälle

Der Geschäftsleiter haftet grundsätzlich für alle Auszahlungen ab Insolvenzreife. Nur in Ausnahmefällen sind einzelne Zahlungen von einer Haftung ausgenommen und privilegiert. Das ist der Fall, wenn Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes bzw. eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar waren.

Anders als der Gesetzestext gegebenenfalls vermuten lässt, stellt die Privilegierung einer Zahlung in der Praxis die Ausnahme dar. Zum Schutz der späteren Insolvenzmasse soll diese nach Eintritt der Insolvenzreife nicht ausgehöhlt werden (vgl. BGH, Urteil v. 23. Juni 2015 – II ZR 366/13; NJW 2015, 2806, 2808). Privilegiert sind z. B. haftungsbewehrte Steuerzahlungen oder Sozialversicherungsbeiträge, letztere aber nur in Höhe des Arbeitnehmeranteils. Zahlt der Geschäftsleiter den vollen Sozialversicherungsbeitrag, begründet dieser seine persönliche Haftung für den Arbeitgeberanteil!

Bei allgemeinen betrieblichen Ausgaben ist es noch schwerer: Entscheidend ist im Ausgangspunkt, ob eine Zahlung im wohlverstandenen Interesse der Gläubiger liegt und letztlich der Sicherung bzw. Erhaltung des Gesellschaftsvermögens dient. Beispielsweise sollen Zahlungen im Rahmen einer angestrebten Sanierung noch privilegiert sein, wenn sie den sofortigen Zusammenbruch der Gesellschaft verhindern, wie etwa Zahlungen auf Wasser-, Strom- und Heizungsrechnungen. Hierzu gibt es aber keine gesicherte Rechtsprechung. Die Übergänge sind fließend. Die Anforderungen an Zahlungen zur Vermeidung eines sofortigen Zusammenbruchs sind deshalb sehr hoch. Der BGH nimmt regelmäßig eine intensive Prüfung des jeweiligen Einzelfalles vor. Auch hier muss zudem der Geschäftsleiter darlegen und beweisen, dass und warum eine Zahlung privilegiert war. In der Praxis gelingt dieser Nachweis nur selten.

Fahrlässige Verkennung der Insolvenzreife reicht aus

Zusätzlich folgt aus § 64 S. 2 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 S. 2 AktG, dass ein Geschäftsführer bzw. Vorstand hinsichtlich der Vornahme der Zahlung trotz Insolvenzreife zumindest fahrlässig gehandelt haben muss.

Nach der Rechtsprechung des BGH wird dieses Verschulden jedoch bereits vermutet, wenn die Insolvenzreife lediglich erkennbar gewesen ist (BGH, Vers.-Urt. v. 19. Juni 2012 − II ZR 243/11, NZG 2012, 940). In Haftungsprozessen wird eine Kenntnis in aller Regel von vornherein vermutet. Von organschaftlichen Vertretern wird erwartet, dass sie sich über die finanziellen Verhältnisse „ihrer″ Gesellschaft stets vergewissern. Ein Verschulden fehlt im Grunde nur dann, wenn der Geschäftsleiter einen sachkundigen Berater eingeschaltet, diesem alle (!) für die Prüfung erforderlichen Unterlagen und Informationen vorgelegt und das Prüfungsergebnis auf Plausibilität geprüft hat. Kam der Berater zu dem Ergebnis, dass noch keine Insolvenzreife vorlag, kann sich der Geschäftsführer ggf. entlasten.

Praxistipp: Als Geschäftsführer die wirtschaftliche Lage im Blick haben

Die Haftung für Auszahlungen nach Insolvenzreife ist wie aufgezeigt äußerst streng und geht sehr weit. Vor dem Hintergrund der zudem äußerst strengen Anforderungen des BGH an eine Enthaftung von Organen für geleistete Zahlungen nach Insolvenzreife, sollten sich Geschäftsführer und Vorstände im Ausgangspunkt stets über die wirtschaftliche Lage ihrer Gesellschaft vergewissern. Eine verlässliche und vor allem aktuell geführte Buchhaltung sind unerlässlich. Zudem sollten Frühwarnsysteme für Krisenzeiten eingeführt werden.

Der BGH hat bereits ausdrücklich festgestellt, dass sich Geschäftsführer und Vorstände alle Informationen und Kenntnisse verschaffen müssen, die für die Prüfung einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung benötigt werden. Notfalls müssen sich Organe fachkundigen Rat einholen (BGH, Urt. v. 27. März 2012 − II ZR 171/10, NZG 2012, 672, 673). Sämtliche Prüfungsannahmen und -maßnahmen sollten umfassend dokumentiert werden.

Wer sich an diese Maßgaben hält und in Zweifelsfällen fachkundigen Rat einholt, ist vor einer späteren Haftung gefeit.

Unsere Beitragsreihe informiert rund um die Restrukturierung eines Unternehmens innerhalb und außerhalb einer Insolvenz. Den Auftakt machte eine Einführung in die Unternehmensinsolvenz und -restrukturierung. In den folgenden Beiträgen beleuchteten wir die Haftung von Geschäftsführern bei Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung sowie das Insolvenzgeld und die Insolvenzgeldvorfinanzierung in der Praxis. Des Weiteren widmeten wir uns der Reform zum neuen Insolvenzanfechtungsrecht, der Insolvenzantragspflicht und den Insolvenzgründen für Unternehmen. Anschließend berichteten wir über die Entscheidung des EuGH zum Beihilfecharakter der Sanierungsklausel sowie die Vorverlagerung des Zeitpunkts der Zahlungsunfähigkeit. Daraufhin setzten wir uns mit dem Ablauf des Insolvenzantrags und des Insolvenzeröffnungsverfahrens und dem Insolvenzantrag durch Gläubiger auseinander. Danach wurde die Insolvenzforderung vs. MasseforderungVerkürzung des Schutzes durch D&O – Versicherungen und Forderungen und Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz betrachtet. Weiter erschienen Beiträge zum Insolvenzantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit – Entmachtung des Gesellschafters oder Haftungsfalle für die Geschäftsführung, zu Gläubigerrechten in der Krise oder Insolvenz des Schuldners, zu Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung sowie zu Pensionsansprüchen des beherrschenden GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers in der GmbH-Insolvenz. Es folgten Beiträge zum Schutz vor der Insolvenzanfechtung durch Bargeschäfte und der Steuerfreiheit für Sanierungsgewinne. Anschließend erschien ein Beitrag zum Wahlrecht des Insolvenzverwalters sowie Beiträge zum fehlenden Fiskusprivileg in der vorläufigen Eigenverwaltung, der ESUG Evaluation und zur Mindestbesteuerung in der Insolvenz. Auch erschienen Beiträge zur Aufrechnung in der Insolvenz, zu Aus- und Absonderungsrechten und zum Insolvenzplanverfahren sowie zum Lieferantenpool. Weiter haben wir zu Folgen und Wirkungen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, über das Konzerninsolvenzrecht und die Treuepflichten in der Krise sowie Cash Pooling als Finanzierungsinstrument im Konzern berichtet. Zuletzt klärten wir über die Haftung von Geschäftsführern und Vorständen für Zahlungen in der Krise, über das  französische Insolvenzverfahren, die Procédure de Sauvegarde und Sauvegarde financière accélérée, sowie die Forderungsanmeldung und Haftung von Geschäftsleitern für Verletzungen von Steuerpflichten auf. Ebenfalls zeigen wir die Grundlagen von Sanierungskonzepten und Sanierungsgutachten auf und gehen auf das Verhältnis von Kurzarbeiter- und Insolvenzgeld ein. Zuletzt haben wir uns mit dem Datenschutz im Asset-Deal beschäftigt. 

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