Insolvenzanfechtung durch Bargeschäfte: Erfahren Sie im folgenden Beitrag, ob und wie Sie Unternehmen in der Krise noch anfechtungsfest beliefern können.
In Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft oder einer natürlichen Person überprüft der Insolvenzverwalter die vor der Insolvenz noch vom Schuldner erbrachten Leistungen. Stellt er fest, dass einzelne Gläubiger bevorzugt wurden, z. B. durch Schenkungen oder andere unentgeltliche Leistungen oder Zahlungen, obwohl der Gläubiger die „Pleite“ des Schuldners kannte, kann der Insolvenzverwalter die Leistung anfechten und vom Gläubiger zurückfordern.
Geregelt sind die Anfechtungsrechte im Insolvenzverfahren in den §§ 129 ff. der Insolvenzordnung (InsO). Außerhalb eines Insolvenzverfahrens richtet sich die Anfechtung, die statt des Insolvenzverwalters jeder betroffene Gläubiger unter ähnlichen Voraussetzungen geltend machen kann, nach dem Anfechtungsgesetz (AnfG). Das Anfechtungsrecht ist eine sehr scharfe und auch gerne genutzte „Waffe“ des Insolvenzverwalters, um Rechtsgeschäfte vor der Insolvenz anzugreifen und die Insolvenzmasse zu erhöhen.
Angefochten werden können nicht nur Zahlungen, sondern auch Dienst- oder Werkleistungen sowie Warenlieferungen. Aber auch der Abschluss oder die Übernahme von ungünstigen oder die Kündigung günstiger Verträge kann angefochten werden, solange nur die angefochtene Rechtshandlung die Befriedigungsaussichten der übrigen Gläubiger verschlechtert hat. Dabei können Rechtshandlungen angefochten werden, die bis zu vier, im Extremfall sogar bis zu zehn Jahre vor dem Insolvenzantrag vorgenommen wurden. Das führt dazu, dass ein Gläubiger manchmal erst mehrere Jahre nach dem Erhalt einer Leistung vom Insolvenzverwalter zur Rückgewähr aufgefordert wird.
Bargeschäfte zur Vermeidung der Anfechtung
Wer einmal Opfer einer Anfechtung war, weiß, wie schmerzhaft es sein kann, eine mühsam erkämpfte Leistung an die Insolvenzmasse zu erstatten und im Gegenzug nur eine geringe oder gar keine Quote zu erhalten. Umso wichtiger ist es, sich bestmöglich vor Anfechtungsansprüchen zu schützen. Die Möglichkeiten hierzu sind indes beschränkt.
Der BGH hat die Anfechtungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters in den letzten fünfzehn Jahren sukzessive erweitert. Wirklich geeignete und vor allem hinreichend sichere Abwehrmöglichkeiten sucht man aber vergebens. Der BGH erweckt manchmal den Eindruck, als sei das Anfechtungsrecht eine Art Gefährdungshaftung, die Gläubiger als typisches Risiko des Wirtschaftslebens im Insolvenzfall tragen müssten und zumindest statistisch gesehen auch verkraften könnten.
Eine Verteidigungsmöglichkeit ist das in § 142 InsO geregelte Bargeschäft. Ein Bargeschäft liegt vor, wenn eine Leistung des insolvenzbedrohten Unternehmens durch eine gleichwertige und zeitnahe Gegenleistung ausgeglichen wird.
Bargeschäft als notwendiger Ausnahmetatbestand im Anfechtungsrecht
Das Bargeschäft ist gesetzlich als Ausnahmetatbestand geregelt. Deshalb muss der Anfechtungsgegner das Vorliegen der Voraussetzungen eines Bargeschäfts im Streitfall darlegen und notfalls auch beweisen.
Warum es diese Ausnahme überhaupt gibt, ja geben muss, lässt sich recht einfach erklären. Zunächst einmal führt ein Bargeschäft nicht zu einer Schmälerung der Haftungsmasse, sondern nur zu einer Vermögensumschichtung. Der Abfluss aus dem Vermögen des Schuldners, der die übrigen Gläubiger zunächst einmal benachteiligt, wird kompensiert durch die Gegenleistung, soweit diese gleichwertig ist (fehlt es daran, scheidet ein Bargeschäft aus).
Außerdem muss auch ein Unternehmen in der Krise noch die Möglichkeit haben, Leistungen zu beziehen und anfechtungsfest bezahlen zu können. Sonst wäre kein Gläubiger mehr bereit, die Geschäftsbeziehung fortzusetzen. Das Risiko einer späteren Anfechtung wäre schlicht zu groß. Der Geschäftsbetrieb müsste bereits mit Beginn einer Krise eingestellt werden. Damit aber wäre auch die Sanierung eines Unternehmens – ein wichtiges Ziel im Insolvenzverfahren – von vornherein ausgeschlossen bzw. zum Scheitern verurteilt. Das leuchtet ein und zwar so sehr, dass das Bargeschäft schon seit über hundert Jahren im Anfechtungsrecht berücksichtigt wird (wenngleich es erst mit Einführung der InsO am 1. Januar 1999 unmittelbar in das Gesetz aufgenommen wurde).
Strengere Anforderungen an Anfechtungsrecht seit Einführung der InsO
Die Aufnahme in das Gesetz ging allerdings einher mit einer vom Gesetzgeber ausdrücklich gewünschten Verschärfung des Anfechtungsrechts, um die Insolvenzmassen zu erhöhen und die Anzahl der Insolvenzverfahren, die mangels ausreichender Masse gar nicht erst eröffnet wurden, deutlich zu verringern. Wegen dieser gewollten Verschärfung hat der BGH den Anwendungsbereich des Bargeschäfts stets sehr eng gefasst.
Bargeschäft: Vertragsgemäßer und sachlich zusammenhängender Leistungsaustausch
Zunächst einmal müssen die ausgetauschten Leistungen sachlich unmittelbar zusammenhängen. Sie müssen auf derselben rechtlichen Vereinbarung beruhen. Daher kann z. B. die Rückzahlung eines Brauereidarlehens nicht dadurch bargeschäftlich ausgeglichen werden, dass dieselbe Brauerei weiter Bier an den Schuldner liefert. Nur bei der Bezahlung der jeweiligen neuen Bierlieferung läge der geforderte sachliche Zusammenhang vor.
Des Weiteren müssen die Leistungen vertragsgemäß sein. Damit scheidet ein Bargeschäft bei sog. inkongruenten Leistungen von vornherein aus. Erfüllt deshalb der Schuldner eine auf Zahlung gerichtete Forderung des Gläubigers durch eine Warenlieferung oder Werk- oder Dienstleistungen, kann sich der Gläubiger nicht mit dem Bargeschäftseinwand gegen die Anfechtung wehren. Ein allgemeiner wirtschaftlicher Zusammenhang, wonach Leistungen grundsätzlich auf einer mehr oder weniger weit gefassten Geschäftsbeziehung beruhen, reicht für die Annahme eines Bargeschäfts somit nicht aus.
Schließlich soll ein Bargeschäft auch dann ausgeschlossen sein, wenn zwar die objektiven Voraussetzungen hierfür vorliegen, der Schuldner aber so defizitär wirtschaftet, dass die Gegenleistung des Gläubigers wegen der fortdauernden Verluste keinen Nutzen mehr hat, sondern nur noch das sprichwörtliche Leiden verlängert. Im Ergebnis führt diese Bewertung dazu, dass der Anfechtungsgegner das Risiko der wirtschaftlich sinnvollen Verwendung seiner Gegenleistung im Unternehmen des Schuldners tragen muss.
Zeitliche Grenzen des Bargeschäfts
Zwischen den Leistungen muss außerdem ein enger zeitlicher Zusammenhang bestehen. Ein Bargeschäft ist nicht nur der an der Ladentheke Zug-um-Zug abgewickelte Verkauf („Geld gegen Ware“). Er ist auch der zeitlich versetzte Leistungsaustausch, sofern der Zeitraum zwischen den wechselseitigen Leistungen „nach Art der ausgetauschten Leistungen und unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs“ noch als eng, d. h. ausreichend kurz bezeichnet werden kann. Die Länge des zulässigen Zeitraums bemisst sich nach der Art des Geschäfts. Üblich ist ein Zeitraum von bis zu 30 Tagen, wobei das nur eine Faustregel ist. Je nach Art des Geschäfts kann die Frist auch deutlich kürzer sein. Fristen von mehr als 30 Tagen sind dagegen die Ausnahme. Ist der Zeitraum so lang, dass der Charakter eines Kreditgeschäfts überwiegt, liegt kein enger zeitlicher Austausch mehr vor.
Die Reihenfolge der Leistungen ist dagegen nicht entscheidend. Deshalb ist es im Grunde egal, welche Partei vorleistet. Allerdings liegt ein erheblicher Vorteil bei einer Vorleistung des insolvenzbedrohten Schuldners darin, dass es der Gläubiger selber in der Hand hat, für eine rechtzeitige Gegenleistung zu sorgen. Leistet dagegen der Gläubiger vor, kann er nur noch hoffen, dass der Schuldner rechtzeitig, d. h. innerhalb der üblicherweise kurzen Frist eines Bargeschäftes leistet. Die praktische Erfahrung zeigt indes, dass insolvenzbedrohte Unternehmen nicht mehr pünktlich, sondern oft nur noch „nach Kassenlage“ zahlen. Deshalb sollte der vorsichtige Kaufmann bei Anzeichen einer Krise des Vertragspartners nicht mehr in Vorleistung treten, sondern Vorleistungen vom Krisenunternehmen verlangen.
Stärkung des Bargeschäfts durch jüngste Anfechtungsreform
Der Gesetzgeber hat in seiner jüngsten Reform des Anfechtungsrechts zum 5. April 2017 den Bargeschäftseinwand gestärkt. Anfechtbar ist ein Bargeschäft zukünftig nur noch dann, wenn die Voraussetzungen der sog. Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO) vorliegen und zudem – hierin liegt die wesentliche Neuerung – der Schuldner unlauter gehandelt und der Anfechtungsgegner dies erkannt hat. Belastbare Rechtsprechung zu der Frage, wann der Schuldner unlauter handelt, liegt noch nicht vor.
Der Gesetzgeber hat aber in der Begründung der Gesetzesänderung unter Bezugnahme auf die bisherige Rechtsprechung des BGH klar zum Ausdruck gebracht, dass er den Anwendungsbereich des Bargeschäfts erweitern möchte. Diesen klar geäußerten Willen kann auch der BGH nicht ignorieren. Deshalb wird das Bargeschäft in Zukunft besser vor der Insolvenzanfechtung schützen. Das aber auch nur dann, wenn die weiterhin maßgeblichen objektiven Voraussetzungen hierfür (zeitlich enger und gleichwertiger Leistungsaustausch aufgrund derselben Parteivereinbarung) von Schuldner und Gläubiger beachtet und erfüllt werden.
Unsere Beitragsreihe informiert rund um die Restrukturierung eines Unternehmens innerhalb und außerhalb einer Insolvenz. Den Auftakt machte eine Einführung in die Unternehmensinsolvenz und -restrukturierung. In den folgenden Beiträgen beleuchteten wir die Haftung von Geschäftsführern bei Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung sowie das Insolvenzgeld und die Insolvenzgeldvorfinanzierung in der Praxis. Des Weiteren widmeten wir uns der Reform zum neuen Insolvenzanfechtungsrecht, der Insolvenzantragspflicht und den Insolvenzgründen für Unternehmen. Anschließend berichteten wir über die Entscheidung des EuGH zum Beihilfecharakter der Sanierungsklausel sowie die Vorverlagerung des Zeitpunkts der Zahlungsunfähigkeit. Daraufhin setzten wir uns mit dem Ablauf des Insolvenzantrags und des Insolvenzeröffnungsverfahrens und dem Insolvenzantrag durch Gläubiger auseinander. Danach wurde die Insolvenzforderung vs. Masseforderung, Verkürzung des Schutzes durch D&O – Versicherungen und Forderungen und Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz betrachtet. Weiter erschienen Beiträge zum Insolvenzantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit – Entmachtung des Gesellschafters oder Haftungsfalle für die Geschäftsführung, zu Gläubigerrechten in der Krise oder Insolvenz des Schuldners, zu Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung sowie zu Pensionsansprüchen des beherrschenden GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers in der GmbH-Insolvenz. Es folgten Beiträge zum Schutz vor der Insolvenzanfechtung durch Bargeschäfte und der Steuerfreiheit für Sanierungsgewinne. Anschließend erschien ein Beitrag zum Wahlrecht des Insolvenzverwalters sowie Beiträge zum fehlenden Fiskusprivileg in der vorläufigen Eigenverwaltung, der ESUG Evaluation und zur Mindestbesteuerung in der Insolvenz. Auch erschienen Beiträge zur Aufrechnung in der Insolvenz, zu Aus- und Absonderungsrechten und zum Insolvenzplanverfahren sowie zum Lieferantenpool. Weiter haben wir zu Folgen und Wirkungen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, über das Konzerninsolvenzrecht und die Treuepflichten in der Krise sowie Cash Pooling als Finanzierungsinstrument im Konzern berichtet. Zuletzt klärten wir über die Haftung von Geschäftsführern und Vorständen für Zahlungen in der Krise, über das französische Insolvenzverfahren, die Procédure de Sauvegarde und Sauvegarde financière accélérée, sowie die Forderungsanmeldung und Haftung von Geschäftsleitern für Verletzungen von Steuerpflichten auf. Ebenfalls zeigen wir die Grundlagen von Sanierungskonzepten und Sanierungsgutachten auf und gehen auf das Verhältnis von Kurzarbeiter- und Insolvenzgeld ein. Zuletzt haben wir uns mit dem Datenschutz im Asset-Deal beschäftigt.