Haftungsrisiken für Steuerschulden drohen der Geschäftsführung im vorläufigen und im eröffneten Insolvenzverfahren.
Auf die Haftungsrisiken von Geschäftsführern nach § 69 AO für Steuerschulden „in der Krise″ sowie bis zur Insolvenzantragstellung sind wir bereits eingegangen. Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick über Pflichten von Geschäftsführern und mögliche Fallstricke im vorläufigen Insolvenzverfahren und im eröffneten Insolvenzverfahren. Diese unterliegen einer fortwährenden Konkretisierung durch die finanzgerichtliche Rechtsprechung.
Im vorläufigen Insolvenzverfahren bleibt der Geschäftsführer grundsätzlich in der Verantwortung
Mit der Insolvenzantragstellung enden nicht die Pflichten des Geschäftsführers. Im Regelverfahren wird das zuständige Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen. Dieser ist in den allermeisten Fällen als sogenannter schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter ausgestaltet. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Vermögens ist noch nicht auf ihn übergegangen, sondern verbleibt bei der Geschäftsführung, sodass diese auch sämtliche steuerlichen Pflichten weiterhin zu erfüllen hat (jüngst etwa BFH, Urteil vom 26. September 2017 – VII R 40/16).
Anders ist dies aber, wenn ein sogenannter starker vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt wird. In jenem Fall verhängt das Insolvenzgericht ein allgemeines Verfügungsverbot über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin, sodass die bisherige Geschäftsführung nicht mehr rechtswirksam nach außen agieren kann. Der starke vorläufige Insolvenzverwalter ist dann Vermögensverwalter im Sinne von § 34 Abs. 3 AO und hat die damit zusammenhängenden steuerlichen Pflichten vollumfänglich zu erfüllen.
Schließlich kennt das Insolvenzrecht noch die Bestellung eines sogenannten schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters mit gerichtlichen Einzelermächtigungen. Hier ordnet das Insolvenzgericht für bestimmte Bereiche und Geschäfte an, dass der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis handeln und Masseverbindlichkeiten begründen kann. Insofern wird vertreten, dass der vorläufige Insolvenzverwalter zumindest für die im Zusammenhang mit den betreffenden Rechtsgeschäften stehenden steuerlichen Pflichten verantwortlich ist. Als Kehrseite der Medaille bleiben die steuerlichen Pflichten der Geschäftsführung im Übrigen bestehen. Dies führt zu zwei steuerlichen Pflichtenkreisen von vorläufigem Insolvenzverwalter einerseits und Geschäftsführung andererseits, die aus den verschiedenen insolvenzrechtlichen Vorgaben resultieren.
Argument möglicher späterer Anfechtbarkeit schützt Geschäftsführer nicht
Wird eine Steuer im vorläufigen Insolvenzverfahren pflichtwidrig nicht beglichen, kann ein Geschäftsführer sich grundsätzlich nicht darauf berufen, dass die unterbliebene Zahlung im eröffneten Insolvenzverfahren ohnehin anfechtbar gewesen wäre, der Insolvenzverwalter diese also vom Finanzamt hätte zurückfordern können.
Der BFH hat hierzu bereits 2007 entschieden (Az. VII R 67/05), dass nicht feststehe, ob es überhaupt zu einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens komme, ob die Voraussetzungen einer Anfechtung gegeben seien, insbesondere ob der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit kannte, und auch nicht, ob der Insolvenzverwalter die Anfechtung erklären würde. Das Verwaltungsverfahren wäre durch die Berücksichtigung hypothetischer Geschehensabläufe deshalb unangemessen behindert. Seither hat der BFH in einer Vielzahl von Entscheidungen seine Rechtsprechung zu dem damit verbundenen sog. hypothetischen Kausalverkauf weiter ausdifferenziert.
Indes gilt auch hier: Keine Regel ohne Ausnahme. So hat etwa das FG Niedersachsen zuletzt in einem Fall zu geschuldeter Lohnsteuer entschieden, dass eine hypothetische Anfechtungsmöglichkeit durch den Insolvenzverwalter ausnahmsweise zu Gunsten der Geschäftsführung zu berücksichtigen sein kann (Beschl. vom 19. September 2017, Az. 14 V 161/17, rkr.).
Streitfall: Verweigerte Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters
Umstritten sind derzeit insbesondere die Fälle, in denen ein schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt gegenüber der Geschäftsführung deutlich gemacht hat, dass er einer Zahlung von Steuerverbindlichkeiten im vorläufigen Insolvenzverfahren nicht zustimmt, bzw. widerspricht.
Hierzu hatte zuletzt das FG Berlin Brandenburg in seinem Urteil vom 31. Mai 2018 (Az. 9 K 9247/15) entschieden, dass der Geschäftsführer zur Vermeidung einer Haftung konkret nachweisen müsse, welche Schritte er zur Zahlung der Steuer am Fälligkeitstag eingeleitet habe, deren Weiterverfolgung sich jedoch wegen der Haltung des vorläufigen Insolvenzverwalters als sinnlos dargestellt hätten.
Wie schon das FG Münster (Urteil vom 3. März 2016 – 1 K 2243/12 L) in einem ähnlichen Fall macht das FG Berlin-Brandenburg damit deutlich, dass unter bestimmten Umständen ein steuerliches Verschulden der Geschäftsführung aus insolvenzrechtlichen Gründen entfallen kann. Es ist mit Spannung zu erwarten, wie der BFH die unter dem Aktenzeichen VII R 30/18 anhängige Revision entscheiden wird. Hieraus dürften sich für die Praxis wegweisende Vorgaben ergeben.
Bis zur Entscheidung des BFH empfiehlt sich jedenfalls eine ausführliche Dokumentation der zur Haftungsvermeidung ergriffenen Maßnahmen.
Im eröffneten Insolvenzverfahren ist der Insolvenzverwalter zuständig
Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter über. Dieser trägt dann alle steuerlichen Rechte und Pflichten im Sinne des § 34 AO, insbesondere Buchführungs-, Aufzeichnungs-, Steuerklärungs-, Berichtigungs-, Auskunfts-, Anzeige- und Nachweispflichten sowie Zahlungspflichten der Insolvenzschuldnerin.
Die Geschäftsführer sind jedoch, soweit sie im Amt bleiben, als Vertreter der Insolvenzschuldnerin gemäß § 97 InsO zur Auskunft- und Mitwirkung gegenüber dem Insolvenzverwalter verpflichtet und haben diesen bei der Erfüllung der Aufgaben zu unterstützen. Ein Verstoß gegen diese Pflichten kann zu einer gesellschaftsrechtlichen Haftung, etwa aus § 43 GmbHG, führen, wenn der Gesellschaft, durch die Pflichtverletzung ein Schaden entsteht.
Sonderfall Eigenverwaltung – Geschäftsführung bleibt in der Verantwortung
Ein weiterer Sonderfall ist die steuerliche Pflichtenverteilung in der sogenannten Eigenverwaltung. Hier verbleibt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis grundsätzlich bei der Insolvenzschuldnerin. Es wird lediglich ein (vorläufiger) Sachwalter bestellt, um die Geschäftsführung zu überwachen und für die Einhaltung der insolvenzrechtlichen Verfahrensvorschriften zu sorgen.
Die Geschäftsführung trägt deshalb sowohl im vorläufigen, als auch im eröffneten Verfahren nach wie vor alle steuerlichen Rechte und Pflichten. Aus diesem Grund ist insbesondere bei aus der (künftigen) Insolvenzmasse vorzunehmenden Steuerzahlungen eine enge Abstimmung mit dem (vorläufigen) Sachwalter erforderlich. Bislang hat der BFH nicht entschieden, wie die unterschiedlichen Pflichten von Geschäftsführung in der Eigenverwaltung und (vorläufigem) Sachwalter ineinandergreifen und wie sich dies auf ein etwaiges Verschulden der Beteiligten auswirkt. Dies gilt etwa in den Fällen der Übernahme der Kassenführungsbefugnis nach § 275 Abs. 2 InsO.
Neben den steuerlichen Gründen können Geschäftsführer in der Eigenverwaltung aber auch aus insolvenzrechtlichen Gesichtspunkten haften. Dies kann etwa dann passieren, wenn Forderungsanmeldungen des Finanzamts nicht ausreichend überprüft werden und dadurch überhöhte Steuerforderungen zur Insolvenztabelle festgestellt werden. Der Schaden liegt dann darin, dass die übrigen Insolvenzgläubiger eine geringere Insolvenzquote erhalten.
Insbesondere nach Insolvenzantragstellung verbleiben zahlreiche steuerliche Haftungsrisiken für Geschäftsführer
Für Geschäftsführer bleibt vor allem die Phase des vorläufigen Insolvenzverfahrens heikel. Sie dürfen einerseits die spätere Insolvenzmasse nicht schmälern und müssen andererseits den steuerlichen Pflichten vollumfänglich nachkommen. Gerade wenn dem Fiskus ansonsten nur eine Insolvenzforderung bleibt oder Anfechtungsansprüche drohen, ist die Inanspruchnahme von (ehemaligen) Geschäftsführern durch das Finanzamt stets zu gewärtigen und in der Praxis regelmäßig zu beobachten. Dies gilt ungeachtet der Frage, ob zugunsten der Geschäftsführung eine D&O Versicherung besteht. Schützen kann sich, wer auch in der Ausnahmesituation eines (vorläufigen) Insolvenzverfahrens als Geschäftsführer den Überblick behält.
Unsere Beitragsreihe informiert rund um die Restrukturierung eines Unternehmens innerhalb und außerhalb einer Insolvenz. Den Auftakt machte eine Einführung in die Unternehmensinsolvenz und -restrukturierung. In den folgenden Beiträgen beleuchteten wir die Haftung von Geschäftsführern bei Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung sowie das Insolvenzgeld und die Insolvenzgeldvorfinanzierung in der Praxis. Des Weiteren widmeten wir uns der Reform zum neuen Insolvenzanfechtungsrecht, der Insolvenzantragspflicht und den Insolvenzgründen für Unternehmen. Anschließend berichteten wir über die Entscheidung des EuGH zum Beihilfecharakter der Sanierungsklausel sowie die Vorverlagerung des Zeitpunkts der Zahlungsunfähigkeit. Daraufhin setzten wir uns mit dem Ablauf des Insolvenzantrags und des Insolvenzeröffnungsverfahrens und dem Insolvenzantrag durch Gläubiger auseinander. Danach wurde die Insolvenzforderung vs. Masseforderung, Verkürzung des Schutzes durch D&O – Versicherungen und Forderungen und Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz betrachtet. Weiter erschienen Beiträge zum Insolvenzantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit – Entmachtung des Gesellschafters oder Haftungsfalle für die Geschäftsführung, zu Gläubigerrechten in der Krise oder Insolvenz des Schuldners, zu Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung sowie zu Pensionsansprüchen des beherrschenden GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers in der GmbH-Insolvenz. Es folgten Beiträge zum Schutz vor der Insolvenzanfechtung durch Bargeschäfte und der Steuerfreiheit für Sanierungsgewinne. Anschließend erschien ein Beitrag zum Wahlrecht des Insolvenzverwalters sowie Beiträge zum fehlenden Fiskusprivileg in der vorläufigen Eigenverwaltung, der ESUG Evaluation und zur Mindestbesteuerung in der Insolvenz. Auch erschienen Beiträge zur Aufrechnung in der Insolvenz, zu Aus- und Absonderungsrechten und zum Insolvenzplanverfahren sowie zum Lieferantenpool. Weiter haben wir zu Folgen und Wirkungen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, über das Konzerninsolvenzrecht und die Treuepflichten in der Krise sowie Cash Pooling als Finanzierungsinstrument im Konzern berichtet. Zuletzt klärten wir über die Haftung von Geschäftsführern und Vorständen für Zahlungen in der Krise, über das französische Insolvenzverfahren, die Procédure de Sauvegarde und Sauvegarde financière accélérée, sowie die Forderungsanmeldung und Haftung von Geschäftsleitern für Verletzungen von Steuerpflichten auf. Ebenfalls zeigen wir die Grundlagen von Sanierungskonzepten und Sanierungsgutachten, die Grundlagen der Insolvenzanfechtung auf und informieren über Grenzüberschreitende Insolvenzen und die reformierte EuInsVO. Zuletzt sind wir auf die Eigenverwaltung und die Bestellung sowie die Aufgaben des Sachwalters in der Eigenverwaltung eingegangen.